Dr. phil. Paul Natterer
Inhaltsverzeichnis

Biographischer Hintergrund

Fazit zur Religionsphilosophie

Vorbemerkung: Die in diesem Menu stehenden Anmerkungen zur römisch-katholischen Theologie verstehen sich — wie das gesamte religiöse Themenpaket des Netzportals — nicht als den Glauben voraussetzende und autoritative Theologie. Sondern sie erörtern unter der religionsphilosophischen Hypothese der Wahrheit des Glaubens dessen Inhalte, Logik und Geschichte. Im Grunde ist das die Methode der frühchristlichen Apologeten und ihrer Nachfolger durch alle Jahrhunderte.

Am Ende des E-Portals zur Religionsphilosophie habe ich das Fazit gezogen, dass das Universum der Katholischen oder Weltkirche der Denk- und Lebensraum eines ernst zu nehmenden Weltbildes ist. Ich sagte, dass sowohl die fachübergreifende wissenschaftliche Evaluation wie persönliche Erfahrung und Einsicht in diese Sicht münden. Und dies gelte trotz der globalen und tiefgreifenden Krise der Römischen Kirche. Also unabhängig davon, dass das Universum der katholischen Weltkirche seit der 1968er Kulturrevolution in hundert Intensitätsgraden überlagert und besetzt wurde durch die ebenso revolutionäre wie totalitäre Humanitätsreligion der westlichen Moderne. Wir haben deren Geist mit den Begriffen Liberalismus — Subjektivismus — Agnostizismus beschrieben. Die vor-68er Kirche analysierte das Phänomen als "inkonsistenten und impotenten Humanitarismus [...] geisteskranker Träumer, Rebellen und Schurken", als eine die messianische Zivilisation in "soziale und intellektuelle Anarchie" führende Übertölpelung und Phantasmagorie der Mächte der Finsternis (Pius X.: Notre Charge Apostolique 1910). Oft oder mehrheitlich handelt es sich heute, sagten wir, um ein letztlich schizophrenes Nebeneinander oder Oszillieren zwischen rechtgläubigen und häretischen Positionen. Als gemeinsamer Nenner der disparaten Glaubenslandschaft erscheint eine immer weitgehendere Ein- und Unterordnung des christlichen Israel bzw. der Weltkirche unter die Agenda und westliche Leitkultur des nichtchristlichen Israel.

Wir haben auch deutlich gemacht, dass auf Seiten der Verteidiger und Bewahrer von Schrift und Tradition des neutestamentlichen Israel bzw. der katholischen Kirche schöpferische Kraft vermisst wird, also eine inspirierende Zukunftsvision, spirituelle Konzentration und intellektuelle Überlegenheit, Selbstvertrauen, prophetische Kritik und Durchsetzungswille.

Schließlich und endlich haben wir die These vertreten, dass die hinter diesem E-Portal stehenden intellektuellen Analysen und existentiellen Erfahrungen eine Synthese sichtbar werden lassen, die falsche Alternativen vermeidet. Und dass diese Synthese schöpferisches Potential: Geist und Kraft, beeinhaltet und freizusetzen vermag.

Wir stellen dagegen sowohl im liberalen wie halbkonservativen Hauptstrom der Kirche als auch bei vielen traditionellen Gruppierungen einen Mangel oder völliges Fehlen an Geist und Kraft fest — intellektuell und moralisch, individuell und sozial. Dieser Mangel lässt sich mit Händen greifen an der die Römische Kirche in den letzten Jahren beherrschenden Debatte um die Geschlechtsmoral, um wiederverheiratete Geschiedene, Homosexuelle und den Presbyterzölibat. Da dieses Feld zudem die Gelegenheit bietet, einiges Biographische zu klären, soll das oben im Allgemeinen Gesagte hieran näher veranschaulicht werden.

Ich habe die innerkirchliche Debatte auf und nach der Römischen Bischofssynode 2015 zu Ehe und Familie einige Zeit verfolgt. Meine Intuition ist die, dass wir hier ein eitles Bemühen beobachten, dem die Kraft mangelt, irgendetwas zu bewegen. Es fehlt eine konsequent rationale Problemlösung, d.h. wissenschaftliche, ganzheitliche, interdisziplinäre Ableitung des Denkens und Handelns aus Erfahrung und Vernunft sowie aus der respektierten und meditierten Schrift und Überlieferung. Stattdessen erleben Beobachter sehr viel Konsenssuche auf den Ebenen von Phantasie und Gefühl, Konvention und Zeitgeist. Ich habe während zwei Jahrzehnten eine solche hier eigentlich geforderte wissenschaftliche und spirituelle Rekonstruktion der Sexualethik sowie der Ehe- und Familienmoral durchgeführt (s.u.) und weiß deshalb, was eine rationale Problemlösung ist und was nicht.

Modernistische "Fesselung der Selbstverwirklichung"

Kardinal Walter Kasper, der Cheftheologe und Berater von Papst Franziskus in Sachen Ehe und Familie, räumte selbst in einem Interview resignierend ein, dass hier — wie auch sonst — in der Römischen Kirche trotz zahlloser Konferenzen und einem Potpourri von Aktivitäten die Dinge stagnieren und sich kein Erfolg zeige. Zu dieser seit Jahrzehnten bestehenden Krise und zu diesem Stillstand habe ich bereits Mitte der 1980er Jahre mit dem späteren Kardinal Kasper eine briefliche und persönliche Diskussion geführt. Er war damals Professor der Theologie in Tübingen und ich leitete den deutschen Distriktssitz der FSSPX im benachbarten Stuttgart. Mein und nicht nur mein Eindruck war, dass er in seinem heimischen theologischen Milieu durchaus an Geistesweite und Reflexionstiefe hervorstach, aber — sicherlich auch bedingt durch den absorbierenden universitären Verwaltungsbetrieb — davor zurückschreckte, sich ultimativen Fragen gründlich zu stellen. In meiner Wahrnehmung verblieb er so innerhalb einer zwar reduzierten, aber doch vorhandenen erkenntnistheoretischen, exegetischen etc. Vorurteilsstruktur. Im Stahlbad des öffentlichen Lebens außerhalb des gewohnten Milieus und — noch wichtiger — sub specie aeternitatis ist dies zu wenig.

Walter Kasper hatte damals ein gottesdienstliche Belange berührendes Lehrschreiben Johannes Paul II. mit einem Kommentar veröffentlicht. Der Kommentar Kaspers zeigte mindestens psychologisches Verständnis für die Widerstände gegen die abrupt und autoritär auferlegte sog. neue Liturgie und plädierte für mehr Toleranz und Einfühlungsvermögen traditionsorientierten Gläubigen gegenüber. Daran anknüpfend suchte ich ihn vergeblich für die vieldiskutierte Analyse der modernen Liturgie und Seelsorge zu sensibilisieren, welche der Wissenschafts- und Kulturtheoretiker und Pionier einer interdisziplinären Psychoanalyse Alfred Lorenzer vorgelegt hatte (Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik, Frankfurt a. M. 1981 [42016]). Ich glaube z.B., dass die Beschäftigung hiermit auch und gerade seinem Engagement in der jüngsten Synode zu Ehe, Familie und Sexualität mehr Realitätsnähe und Durchschlagskraft hätte geben können, ohne der Glaubensorthodoxie nahe zu treten. Und dass Lorenzers Analysen ihm bereits früher, in dem legendären Streitgespräch mit dem Theologen und Psychoanalytiker Eugen Drewermann, entscheidende Gegenargumente an die Hand gegeben hätten (ZDF: 06.02.1992).

Arbeitsschwerpunkt des neomarxistischen, kirchenkritischen Atheisten Lorenzer sind bzw. waren psychosoziale Formationsprozesse des Erwachsenenlebens und mögliche Verformungen derselben. Neben der Psychologie sind seine Quellen die religionssoziologischen Untersuchungen Max Webers und die Forschungen Ernst Cassirers und seiner Schülerin Susanne Langer zur zentralen Bedeutung symbolischer Formen und Interaktionen im menschlichen Denken und Handeln. Symbolische Formen sind bildliche bzw. metaphorische Repräsentationen und Aktionen, die in und über ihrer materiellen Erscheinung sinnliche Darstellungen geistiger Begriffe und Sachverhalte sind. Symbolische Formen können sowohl solche der physischen Außenwelt sein (z.B. das Taufbad als Symbol der Reinigung der Seele) als auch imaginale mentale Vorstellungen (z.B. die poetische Bildwelt der Psalmen). Lorenzer sagt nun, dass er das in Rede stehende Buch geschrieben habe, weil die Römische Kirche die quantitativ bedeutendste und qualitativ erfolgreichste Sozialisationsagentur der menschlichen Geschichte sei: Die symbolischen Bildwelten ihres kulturellen Universums seien Garant der Weltbewältigung und seelischen Integrität und Gesundheit von mehr Menschen als jede andere Institution erfasst, auch wenn man ihr Glaubenssystem theoretisch ablehne: „Die ‚innere Transzendenz‘ des Menschen, die Verankerung seines Erlebens, Denkens und Handelns im ‚Jenseits vom Rationalen‘ ist in den religiösen Mythen sinnlich angemessener aufbewahrt als in den metapsychologischen Konstruktionen der Psychoanalyse.“ (1981, 11) Und deswegen betreffen dramatische Einschnitte wie das II. Vatikanische Konzil und die sogenannte Liturgiereform unmittelbar oder mittelbar die psychische und soziale Gesundheit aller Menschen und müssen den Psychologen und Psychotherapeuten mehr interessieren als die meisten anderen Probleme: „Kirche steht … für überfamiliale Sozialisationsagenturen, für das von der Psychoanalyse noch nicht erschlossene Terrain der sekundären Sozialisation“ und „Gegenstand“ der „hier vorgelegten Religionskritik … ist wesentlich die Untersuchung der Wechselbeziehung zwischen überfamilialen (religiösen) Symbolisierungen und Persönlichkeitsstrukturen“ (1981, 13).

Und hier müssen, so Lorenzer, Psychologen und Kulturwissenschaftler in der Liturgiereform nach dem II. Vatikanum das wahrscheinlich größte kulturelle Vernichtungswerk der Geschichte erkennen, das sakrale Architekturen weltweit in einem geist- und herzlosen Vandalismus brutal zerstörte. Oder Dome, Kirchen und Kapellen als sinnlich-symbolische Gesamtkunstwerke durch sogenannte Volksaltäre und Dutzende sonstiger Eingriffe inkl. der praktischen Abschaffung der „Symbolprovinz der Kirchenmusik“ ihrer ästhetischen Schlüssigkeit und symbolischen Aussagekraft beraubte. Noch stärker wiege aber die Zerstörung des über Jahrtausende organisch gewachsenen, den Geist und alle Sinne optimal ansprechenden und Freiraum für die individuelle Teilnahme und regionale Traditionen bietenden Gesamtkunstwerkes der Römischen Liturgie und seiner Erlebnisbedeutung: „Was in Ritual und Mythos ausgedrückt wird, sind nicht einzelne Lebenserfahrungen, sondern sind die ‚Lebenssymbole‘ selbst. Anders formuliert, es sind Leib-Seele … Liebe … Macht und Tod. Sie sind Teil des unablässigen menschlichen Suchens nach Begreifen und Orientierung […] Sie verleihen seinen … Ängsten und Idealen aktive und eindrucksvolle Form“ (1981, 33).

Dieses zentrale humane Bedürfnisse und Gefühle durch seine „präsentative [ganzheitlich-imaginale bzw. bildhaft-rituelle] Symbolik“ angemessen ansprechende und befriedigende Ritual sei einer funktionalen Indokrinationsveranstaltung mit pausenlosem verbalen Aktivismus und Widerwillen erzeugenden optischem Exhibitionismus gewichen, dem binnen weniger Jahre 80 % der Gottesdienstbesucher den Rücken gekehrt haben (Sie haben Carlyles Einsicht neuerdings eindrucksvoll bestätigt: "Secrecy is the element of all goodness; even virtue, even beauty is mysterious" / "Schweigen und Geheimnis sind der Grundstoff alles Guten; auch und sogar die Tugend, sogar die Schönheit sind geheimnisvoll.") 

Die neue Liturgie sei die „instrumentalistische Fesselung der Selbstverwirklichung der Subjekte" (108). Denn „die Reform hat das Kunstwerk ‚Ritual‘ von Grund auf zerschlagen und dadurch die Liturgie voll ideologisiert: als Lehrveranstaltung mit didaktisch eingerichteten, curricular gegliederten Texten. Im Übrigen konnte eine solche Reformoperation nur zur Zerstörung führen: Die Ambition in ein kulturell gewachsenes Kunstwerk einzugreifen durch Beschlussfassung einer Versammlung von Funktionären, ist entweder naiv oder größenwahnsinnig“ (192). Lorenzer: „Der neue Bildersturm entspringt … dem Aggiornamento [Anpassung] an den modernen Zeitgeist — auf der Höhe eines rationalistischen Instrumentalismus […] eine Barbarei, die eigenmächtig ruiniert, was allen gehört “ (205, 207). Und in ethischer Hinsicht verweigert dieser neue Bildersturm den Menschen bewährte symbolische Formen ihrer kognitiven und moralischen Ideale sowie emotionalen Bedürfnisse und liefert sie wehrlos der konkurrierenden amoralischen Symbolwelt des kapitalistischen Konsumismus und Hedonismus in Werbung, Medien und Filmindustrie aus.

Soweit die zentrale Argumentation Lorenzers. Sie ist sicherlich jenseits theologischer Differenzen eine fruchtbare Diskussionsgrundlage wichtiger Gesichtspunkte, die für eine Situationsanalyse und Problemlösung bis heute einschlägig und unverzichtbar sind. Walter Kasper wehrte sie in unserem damaligen Gedankenaustausch ab unter Berufung auf die vielfach problematische und sachlich unseriöse Schale, in welche Lorenzer diese zentrale Argumentation verpackt, nämlich eine manchmal ausgesprochen ignorante naturalistische und historische Vorurteilsstruktur mit allerlei hinterfragbaren Ausflügen in Politik und Zeitgeschichte.

Die Schopenhauer'sche Einsicht

Nun, aufgrund biographischer Vorgaben und spiritueller Erfahrungen konnte ich der Gründlichkeit und Universalität, die wir hier vermissen, weder im Denken noch im Handeln ausweichen. Von außen und in der öffentlichen Perspektive spiegelt dies der diesem Portal beigefügte Lebenslauf (CV). Zur inneren und persönlichen Dimension habe ich dazu eine Biographisch-rechtliche Dokumentation in Buchform erstellt. Sie umfasst neben einer Autobiographie und psychologischen Evaluation die Schriftsätze einer kirchenrechtlichen Auseinandersetzung 19951997 mit dem Generalhaus der FSSPX. Ich ließ sie zwecks juristischer Optimierung von der in der Materie seinerzeit in Deutschland führenden Anwaltskanzlei in Frankfurt durchsehen. Sie beschieden mir perplex und mit vielen Komplimenten, es gäbe schlicht keine Verbesserungsmöglichkeiten: Die Prozessführung, die die moraltheologische und kirchenrechtliche Korrektheit, Unabweisbarkeit und Hochwertigkeit meiner biographischen und fundamentaltheologischen Aufarbeitung zum Gegenstand hatte, sei sachlich zwingend und formaljuristisch perfekt. Eine Zweitfertigung der Unterlagen liegt u.a. im Archiv des Bistums Würzburg. Der langjährige Generalvikar der Diözese Würzburg, Dr. Karl Hillenbrand, las sie 2011 und sagte mir nach der Lektüre, dass ihn in seinem gesamten Leben kein Text so erschüttert habe. Er habe ihn ohne Unterbrechung zweimal hintereinander gelesen.

In einem abendfüllenden Interview 1998 im SWR habe ich mit dem Moderator und Autor Jürgen Hoeren seinerzeit diese Dinge erörtert, so dass hier lediglich ergänzt werden soll, dass sie in eine tödliche Tumorerkrankung mündeten: Ich lebe seit Jahren ohne medizinische Erklärung und ohne ärztliche Beglaubigung. Ich erinnere bis heute den Schock des Pflegepersonals der Onkologie des Universitätsklinikums Würzburg, als ich 2011 nach Monaten Bewegungsunfähigkeit und maximaler Morphin-Medikation auf eigenen Füßen aus dem Einzelzimmer für Schwerstfälle und/oder Sterbezimmer auf den Stationsflur trat. Sie erzählten später, sie hätten geglaubt, ein Gespenst zu sehen. Eine Anwältin sagte einmal, diese Biographie sei das härteste Schicksal, das sie in ihrer Praxis je erlebt oder von dem sie gehört habe. Das braucht hier im Einzelnen dennoch nicht weiter zu interessieren, zumal diese Dinge in der Rückperspektive als transzendente, passive Prüfungen über die Lebensspanne ins Relief treten, deren menschliche Unbeeinflussbarkeit z.B. das Buch Ijob thematisiert. Ferner sind sie servatis servandis nicht nur im im Blick auf Buße und Läuterung potentielle Gaben (s.u.). Ich erwähne es lediglich summarisch und zwar aus drei Gründen.

Einmal könnte bei unserer Betonung der Bedeutung von Exzellenz und von Eliten sowie von Glück und gelingendem Leben der falsche Eindruck entstehen, (i) dass hier die Schopenhauer‘sche Einsicht verdrängt oder heruntergespielt werden soll, dass diese Erde zugleich eine Arena von Kampf, Schmerz, Leiden, Not und Unglück ist. Und zu wenig stark gewichtet wird, (ii) dass der prophetische Theismus des Alten wie Neuen Testamentes v.a. Armen und Bedrückten Heil verheißt und vielfach "die Kraft Gottes in der Schwachheit zur Vollendung kommt" (so das Selbstbild des Völkerapostels Paulus und Franz von Assisis). Dass ferner (iv) Armut, Leiden und Verachtung drei Bedingungen moralischer Rechtschaffenheit und psychischer Gesundheit in der vollkommenen Nachfolge Christi sind, die z.B. im Fokus der Ignatianischen Exerzitien stehen (Betrachtung über die ‚Drei Weisen der Demütigung‘). Dass (v) mentales, physisches und soziales Leid bei entsprechender Einstellung Geist, Körper und Verhalten besonders wirksam läutert, sodass schwere und lange Krankheit in Kürze selbst lebenslange Extrem-Askese deklassiert (David von Augsburg). Dass (vi) mentales, physisches und soziales Leid bei entsprechender Einstellung das Licht maximaler Aufklärung und Erkenntnis erzeugt und wirkliche Weisheit eine Funktion von Leiden ist. Dass (vii) Glück eine Funktion von Aszese und Leidensbereitschaft ist, welche die Rückkehr nach Eden ermöglicht und damit ultimative Würde, Schönheit und Wonne, was Hauptthema des Werkes Johannes‘ vom Kreuz (15421591) ist, der klassischen Autorität der Römischen Kirche für das Feld der spirituellen oder mystischen Theologie. Dass (viii) wirkliche, ultimative Macht eine Funktion konsequenter Aszese und körperlicher, seelischer, spiritueller, sozialer und ökonomischer Grenzbelastungen alias Leiden ist. Dass somit (ix) ein innerer Zusammenhang und sogar eine Bikonditionalität von Leiden und Leistung besteht, von Leidensdruck und echtem, dauerhaftem Erfolg, was Thema des Buches Ijob, der Gottesknechtlieder in Jesaja oder der Korintherbriefe des Apostels Paulus sowie des spirituellen Klassikers Traité de l‘amour divin (Theotimus) von Franz von Sales ist. Dass Letzterer drei Ebenen der performance unterscheidet: (a) Die Lehre als schwächste Form; (b) das Beispiel als wirksamere, aber nicht durchschlagende Form; (c) die Übernahme der Nöte, Schwächen und Sünden des jeweiligen Wirkungskreises als wirksamste Form, derer sich auch der Messias alias Leidensknecht bediente, der hierin so St. Paulus nachzuahmen ist „um an unserem Leibe zu ergänzen, was an den Leiden Christi noch aussteht“, so dass „wir täglich sterben, und doch leben“. Dasselbe in Laotses Worten: „Wer den Schmutz des Reiches auf sich nimmt, der ist der Herr [...] Wer das Unglück des Reiches auf sich nimmt, der ist der König der Welt.‘ Wahre Worte sind wie umgekehrt [paradox].“ (Tao te king) Ich denke, dass unsere Bekenntnisse den möglichen falschen Eindruck, dass wir nicht auf der Höhe der Schopenhauer‘schen Einsicht sind, ein für alle Mal korrigieren.

Die Weisheit des Rechtes

Zweitens sollte das Gesagte summarische Erwähnung finden, weil es die Bedeutung von Recht und Gesetz zum Schutz und Wohl von Personen anschaulich macht, und im Besonderen von machtlosen Menschen wie Kindern. Weise und gerechte Gesetze schützen nicht nur vor menschlicher Gewalt und Eigenwillen, sondern auch vor menschlicher Torheit und Schwäche. Insofern handelt es sich um eine für die Gestaltung der Zukunft relevante und bei geringerer Ausprägung leicht übersehene Lebenserfahrung. Dies ist umso relevanter als eine der bedenklichsten Entwicklungen der Gegenwart die massenhafte Ignorierung und Missachtung von Verfassungen und Gesetzen ist und die faktische oder sogar offizielle Absolutsetzung der Exekutive, also der unkontrollierten Macht. Oder noch totalitärer und inhumaner: Der subversive oder revolutionäre Transfer der Macht an nicht durch Gesetz, Wahl oder Tradition legitimierte Räte, Kommissionen, Konferenzen und Nichtregierungsorganisationen in Kirche und Staat. Ursache aller in der genannten Biographisch-rechtlichen Dokumentation thematischen Negativerfahrungen war die Nichtbeachtung des Rechtes und Gesetzes, hier des Kirchenrechtes. Die Vertreter des Gesetzes haben 19591966, 19771981 und 19951997 wichtige Gesetze und Vorschriften schlicht ignoriert und ihnen über Jahre strikt zuwider gehandelt. Voraussetzung für das nachträgliche Klären und Sortieren der Situation war wiederum die Weisheit des Rechtes, konkret des Codex Juris Canonici (CIC 1917) bzw. seiner Quellen, des mit Abstand ältesten, realitätsdichtesten und reflektiertesten Gesetzeswerkes der Geschichte, dessen Geltungsbereich wahrscheinlich mehr Menschen umfasste und umfasst als alle anderen Gesetzesbücher und Rechtssammlungen der Menschheit zusammen. 

Das Recht der praktischen Vernunft

Der dritte Grund, weshalb wir summarisch auf das autobiographische Material eingehen, ist die Tatsache, dass die psychische, soziale und moralische Befreiung aus den eingangs genannten Hypotheken ein jahrzehntelanger sehr schwieriger Weg u.a. durch alle psychosozialen Entwicklungsphasen Eriksons hindurch war und keinesfalls mit konventionellen Mitteln und auf gewöhnlichen Wegen möglich. Es wurde gesagt, dass im Gegenteil gerade die zuständigen Autoritäten sich eines fortgesetzten Fehlverhaltens gegen ethische Prinzipien und noch stärker gegen das Kirchenrecht schuldig machten: Es besteht die Rechtsvermutung, dass sie sich deswegen die automatisch (ipso facto) eintretende Exkommunikation zuzogen.

Die Befreiung aus diesen traumatischen Verstrickungen und die heutige unbehinderte und autonome Verwirklichung der aszetischen Lebensform erfolgte vielmehr durch die ebenso unkonventionelle wie unbedingte Liebe eines mir geschenkten Schatzes, welche unsere gleichermaßen unkonventionelle, aber ethisch reflektierte und m.E. theologisch bedeutsame gesetzliche Eheschließung 2003 spiegelt. Theologisch bedeutsam deswegen, weil jahrzehntelange Erfahrungen und Beobachtungen nahelegen, dass hier unter der ebenso organischen wie zwingenden Führung des Geistes Gottes etwas Prototypisches gewachsen ist, dem nicht dem Buchstaben nach, wohl aber dem Geist nach eine Schlüsselfunktion zukommt in der Wiedergewinnung von Geist und Kraft für das Presbyterat der Römischen Kirche. Diese Feststellung ist ungewöhnlich und sehr herausfordernd, aber nicht leichtfertig oder anmaßend, sondern das Fazit aus 20 Jahren selbstkritischer Prüfung sowie Ausschau nach Menschen mit analogem Profil und Charisma. Eine Probe aufs Exempel für die angesprochene theologische Bedeutung mag die Tatsache sein, dass diese Liebe die Bedingung der Möglichkeit war, 1996 das 1981 nach jahrelangem „psychologisch und kirchenrechtlich kaum nachvollziehbarem moralischen Zwang“ (Dr. Hillenbrand) übernommene Presbyterat ethisch und moraltheologisch reflektiert zu sanieren und bruchlos fortzusetzen.

Was solche ideellen Entwicklungen und individuellen Lebenslinien angeht, so ist nach dem interdisziplinär gebildeten Theologen, Konvertiten und späteren Kardinal John Henry Newman charakteristisch für die Aspekte einer echten, wahren Idee und einer geistgeführten Entwicklung, dass sie “auf den ersten Blick unverträglich und unverhältnismäßig scheinen oder sogar monströs. Und doch werden alle diese Anormalitäten verschwinden und alle diese Gegensätze werden ausgeglichen werden: Die prima facie vorliegende Unähnlichkeit ihrer Aspekte wird, wenn erklärt, zu einem Beweis ihrer Substantialität und Vollständigkeit und ihre Vielfältigkeit wird zu einem Beweis ihrer Ursprünglichkeit und Kraft” [orig: „that they seem at first sight incompatible und disproportionate, or even monstrous, and yet all these anomalies will disappear and all these contrarieties be adjusted, – and the prima facie dissimilitude of its aspects becomes, when explained, an argument for its substantiveness and integrity, and their multiplicity for its originality and power.“] (An Essay on the Development of Christian Doctrine, Notre Dame, Ind. 1989, 3435)

Auch hier geht es um die Überwindung falscher liberalistischer und traditionalistischer Alternativen in einer höheren Synthese. Dabei steht außer Frage und ist die Erfahrung der anerkannten Meister, die von Berufenen jederzeit nachvollzogen werden kann, dass die in spiritueller Hinsicht höhere Lebensform selbstverständlich die aszetische und damit die zölibatäre ist. Bekanntlich ist das auch für den Buddhismus und Hinduismus ein matter of fact. Ebenso selbstverständlich gilt das nur objektiv und im Allgemeinen und nicht subjektiv und im Speziellen, wo zu Tage liegt, dass die bei korrekter Einstellung ebenso anspruchsvolle Berufung zur Ehegemeinschaft und Elternschaft der häufigere Fall ist.

Aber genauso fordert der im modernen wie traditionellen Lager des westlichen Klerus beobachtbare Mangel an Vision, Dynamik und Effizienz eine Antwort. Und sie hat in irgendeiner Form durchaus auch mit dem Exzellenz- und Balanceverlust des männlichen und weiblichen Elementes zu tun, den im Übrigen die Ostkirche so nicht aufweist. Dabei ist es nicht so, dass das Thema unterrepräsentiert wäre. Es ist eher überrepräsentiert. Aber es fehlt vorurteilslose empirische Forschung und leidenschaftslose rationale Reflexion nach ethischen Standards. Bei der so fehlenden theoretischen Klarheit und Konsistenz besteht dann in der Praxis die Gefahr von Doppelbödigkeit und Doppelzüngigkeit, was erfahrungsgemäß die moralische Spannkraft von Sozialsystemen sofort aufweicht, wie ich sowohl im progressiven wie im traditionellen Kontext selbst erleben konnte. Das Gesetz des Messias, d.h. die Evangelien, warnen deswegen besonders vor dem Sauerteig der Pharisäer (Traditionsvertreter) und Sadduzäer (Progressisten), nämlich der Heuchelei. Das progressistische Lager erliegt dabei tendenziell eher libertinistischen und pseudoemanzipatorischen Phantasien und Versuchungen. Im traditionellen Lager findet sich die Versuchung zur autoritären Reglementierung und Verwaltung unerlöster Situationen und zur verdeckten Fixierung auf das Thema (Prüderie).

Rationale Problemlösung zur Erotik, Ethik und Spiritualität

Die bekannteste in der Literatur beschriebene Wissenschaft der Erotik qua systematische Theoriebildung zur Erotik, Ethik und Spiritualität, stammt von Sokrates‘ Mentorin Diotima, worüber Sokrates / Platon im für die platonische Philosophie zentralen Dialog Sympósion berichten. Dieser Dialog gipfelt in Sokrates‘ Diotimarede. Auch die von den Kirchenvätern an religionsphilosophischer Bedeutung in eine Parallele zum Alten Testament gerückte platonische Philosophie insgesamt ist Wissenschaft der Erotik qua experimentelle Grundlegung, systematische Theoriebildung und rationale Problemlösung zur Erotik, Ethik und Spiritualität. Platons Philosophie ist in Theorie und Praxis als éros (Liebe, Sehnsucht, Trieb) nach Erfüllung einer Bedürfnishierarchie zu beschreiben bis zum „[End-]Ziel der Liebe [...] als ginge es eine Stufenleiter hinauf [...], von den schönen Körpern ... zu den [wohlgestalteten Seelen und] schönen Lebensberufen und von diesen zu den schönen Wissensgebieten, um schließlich ... zu jenem Wissen zu gelangen, das nichts anderes zum Gegenstand hat als jenes Schöne an sich, das er ... schließlich in seiner Absolutheit erkennt“ (Diotimarede des Dialoges Sympósion (211c und überhaupt 201d212c; vgl. die klassische Interpretation des Sympósion durch Gerhard Krüger: Einsicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen Denkens, Frankfurt a. M.,  6. Aufl. 1992).

Ausgehend von von dem o.g. persönlichen Klärungs- und Handlungsbedarf beanspruchen wir nun, zum zweiten Mal in der Ethikgeschichte nach Diotima / Sokrates / Platon die Sexualethik, Erotik und Spiritualität in einem Langzeitforschungsprojekt wissenschaftlich-methodisch unter konsequenter Beobachtung ethischer Standards interdisziplinär überprüft und praktisch evaluiert zu haben: biologisch / medizinisch / motivationspsychologisch / persönlichkeitspsychologisch / psychotherapeutisch / soziologisch / ethnologisch: indigene und Hochkulturen, Vajrayana-Buddhismus, Daoismus, Tantrismus, Zen-Buddhismus / religionswissenschaftlich / moralphilosophisch / moraltheologisch / aszetisch / spirituell / juristisch. Dies schloss ein professionelles Studium der Persönlichkeits-, Entwicklungs-, Emotions- und Sozialpsychologie ein wie auch eine psychologische Selbstanalyse bei jeweils führenden Experten. Dasselbe gilt von der fachübergreifenden Evaluation aller Gesichtspunkte und Ereignislagen der Ethik von Ehe und Familie, wo ich zwei Kinder meiner Gefährtin erzogen habe. Auch sie unterstehen einer transzendenten Führung und haben in einem Fall heroischen Anteil an unserem Weg.

Die Ergebnisse des theoretisch-praktischen Forschungsprojektes bestätigen im Wesentlichen die Einsichten und Erfahrungen der Tradition, stellen sie aber in ein interdisziplinäres Koordinatensystem, dem auf der spirituellen Ebene ein m.E. so in der Theologie und Seelsorge woanders nicht spürbarer Geist des Rates und der Stärke korrespondiert. Sie korrigieren auch nicht wenige Fehlurteile, zum Teil durch Rückgang auf Einsichten früherer Jahrhunderte oder entlegenerer Quellen und beheben Lücken in der Theorie, worauf bei gegebenem Anlass zurückzukommen sein wird. Aber noch wichtiger scheint die dabei unmissverständlich zu Tage tretende Erfahrung zu sein, dass der Zugang zu Gott, zur absoluten Realität und damit zur Wahrheit, von dem Willen zur Wahrheit und Realität auch auf dem uns beschäftigenden Gebiet abhängt. Also von weiser rationaler Problemlösung statt diffusem emotionalem Konsens.

Noch etwas zeigte sich in diesen Abklärungen und zwar betreffs des säkularen, liberalen Diskurses zum Thema Erotik und Sexualität: In der wissenschaftsphilosophischen Analyse und lebenspraktischen Evaluation stellt derselbe sich nämlich als methodisch erheblich reduziert und fehlgeleitet dar, woraus sich ebenfalls erhebliche inhaltliche Fehlstellen ergeben. Bekanntes Medium und Instrument dieses Diskurses ist der Sexualkundeunterricht üblichen Zuschnitts. Und überhaupt die Sexualpädagogik in Kindergärten, Internaten, Jugendzentren, Behindertenheimen und Altersheimen. Vgl. das offizielle Referenzwerk bzw. Handbuch von Christian Osbar et al.: Sexualpädagogik zwischen Persönlichkeitslernen und Arbeitsfeldorientierung. Unterrichtsmaterialien für die sozialpädagogische Ausbildung [Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung 16], Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1999.

Die in diesen Materialien vorgestellte Sexualpädagogik erfasst lediglich ca. ein Drittel des Gegenstandsgebietes der Erotik und Sexualität. Darunter sind natürlich echte Einsichten und berechtigte Anliegen. Aber vieles hält die Konfrontation mit der Realität nicht aus. Und wie gesagt: Ca. zwei Drittel der Phänomene werden überhaupt nicht thematisiert. Dazu gehört der riesige und für Jugendliche auch subjektiv sehr wichtige Komplex der Bindung, Ehe und Familie. Dazu gehört ferner die Dimension einer reflektierten Anthropologie, des Lebenssinnes und Glückes und damit der Stellung von Liebe, Erotik und Sexualität in der Handlungstheorie und Ethik. Das Persönlichkeitslernen in der vorgestellten Sozialpädagogik verbleibt in dieser Hinsicht rudimentär, banal und uninspirierend.

Auch die im prophetischen Theismus (wie im Prinzip in allen Weltreligionen und vielen Philosophien) sehr wichtige Dimension der spirituellen Erotik existiert in den untersuchten Unterrichtsmaterialien nicht. Spirituelle Erotik meint hier die bräutliche Liebesbeziehung zwischen Gott / Himmel und Mensch / Kosmos (biblisch: zwischen Logos / Christus und Stadt Gottes / Kirche) als Hochziel des spirituellen Lebens. Es meint nicht esoterische Sexualmystik, auch wenn im Alten und Neuen Testament (Ezechiel, Hoheslied, Epheserbrief) die Liebe zwischen Mann und Frau durchaus sakramentales, mystisches Abbild ist der Liebe zwischen Gott / Messias / Geist und Gottesvolk / Kirche / Kosmos. Siehe dazu die Begriffsklärungen in der in Folge eingerückten Datei.

Das alles ist gravierend. Denn es ist die Überzeugung der Weisen und Gerechten der Menschheit, dass ohne ernsthafte Auseinandersetzung mit der praktischen Vernunft (Ethik und Gewissen) und dem Göttlichen (Transzendenz) die Erfahrung von Sinn und Glück nicht möglich ist (siehe die Verknüpfung in Folge). Die Quintessenz der philosophischen Schriften der Bibel verdichtet diese jahrtausendealte Erfahrung: "Der Anfang der Weisheit ist die Gottesfurcht [...] Die Weisheit lehrt Maß und Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit ... die im Leben der Menschen nützlicher sind als alles andere" (Buch der Weisheit, Kap. 8).

Darüber hinaus gilt: Nur und genau die authentische Religion und Spiritualität befriedigt und befriedet die existentielle Sehnsucht nach dem Paradies, nach Eden, nach Liebe, nach Schönheit und nach Glück. Die messianische Zivilisation ist das neue Eden mit einem neuen Strom des Lebens, der den Geist salbt, belebt und erhebt, und den Seele und Körper als andauernde und friedvolle Verzückung erfahren: "Du machst sie trunken vom Strom deiner Wonne" (Psalm 36). Das ist in vielen Epochen und Kulturen tausendfach erprobte und verifizierte Realität. Wer wirklich will, kann das verwirklichen und selbst erleben.

Diese Dinge werden in der in Rede stehenden Sozialpädagogik allenfalls in gelegentlichen Nebenbemerkungen fassbar. Oder als verstörende und / oder halb bewunderte Normen selbstbewusster Fremdreligionen. Es ist amüsant, dass in dem genannten Handbuch der übliche verächtliche und rotzige Ton der eigenen Religion und Sitte gegenüber sofort einer respektvollen und diskreten Sprechweise Platz machen kann. Dann nämlich, wenn es z.B. um die Weigerung moslemischer Mädchen geht, bestimmte Aspekte der religionsfeindlichen und nach den Maßstäben aller Menschheitskulturen libertinistischen Sexualkunde mitzumachen.

Noch amüsanter bzw. bizarrer mögen die sich durch das ganze Lehr- und Arbeitsbuch hinziehenden Klagen der Autoren/innen und Sozialarbeiter/innen sein über die Hilflosigkeit muslimischen jungen Männern gegenüber. Diese seien völlig resistent gegen die als abartig und weichlich empfundenen Dogmen der Genderpädagogik. Für sie sei Homosexualität absolut selbstverständlich eine psychische und moralische Perversion, die sie in ihrer Klasse und Clique nicht im Ansatz duldeten. Auch Mädchen nähmen diese Leute spontan als natürliche, Leitfiguren wahr.

Die Sozialarbeiter/innen und Betreuer/innen fühlten sich angesichts dieser selbstsicheren Männlichkeit und Freiheit deklassiert und ohne Autorität. Selbstwertprobleme der Sexualpädagogen seien die Folge. Es komme regelmäßig vor, dass sie angesichts ihres Scheiterns einen Nervenzusammenbruch erlitten oder um Hilfe, Schutz bzw. Versetzung an eine andere Einrichtung nachsuchten. Der beste Kommentar dazu dürfte wohl Horazens bekannter Sinnspruch sein: "Naturam expellas furca / tamen usque recurret." In freier Wiedergabe: "Die Natur magst du bekämpfen mit den schärfsten Waffen und austreiben mit aller Gewalt: lange und mühsam  / Sie wird dennoch genau auf denselben Punkt wieder zurückkommen: Sie wird die Ausgangslage wieder herstellen, schnell und mühelos." Zu dem letztgenannten Thema siehe auch den folgenden Abschnitt.

Einige Ergebnisse des Forschungsprojektes sind in dem folgenden Aufsatz verarbeitet:

Religionsphilosophie zu Erotik und Spiritualität

Totalverlust geistlicher Autorität

Eine prophetische Tat

In diesem Zusammenhang ist auch das dramatische Zeugnis und Aufklärungspapier Erzbischof Carlo Maria Viganòs vom 25.08.2018 (mit den Folgedokumenten) zu sehen. In meiner Wahrnehmung fällt dieser Schritt letztlich aus menschlichen Erklärungsmustern heraus und ist nur als prophetisch inspirierter Text zu verstehen, dessen Worte wie ein zweischneidiges Schwert das Innere des Menschen offenlegen und ihr Ziel zwangsläufig erreichen. Dies scheint gültig auch wenn kaum bestreitbar Viganòs Vorgehen auch eine konzertierte Aktion des medienpolitischen Netzwerkes von Opus Dei ist, und seine Sicht darüber hinaus erhebliche blinde Flecken aufweist. Trotzdem stellt sich die Gedankenverbindung ein zu prophetischen Taten, die im Grunde nicht missverstanden werden können, da sie immer etwas von der Erfahrung an sich haben, mit der Unser Herr Jesus Christus seine endzeitliche Wiederkunft beschreibt, nämlich unabweisbar wie ein Blitz, leuchtend von einem Ende des Himmels bis zum anderen. Der prophetische Zweck in Viganòs Papier ist dabei nicht primär die Kritik sexuellen Missbrauchs seitens häretischer und moralisch korrupter Presbyter: Das ist natürlich auch gravierend, aber wird übertroffen von der viel größeren Dimension des sexuellen Missbrauchs seitens Lehrern staatlicher Schulen und Internate oder seitens orthodoxer und liberaler Rabbiner, hinduistischer Brahmanen, budhistischer Lamas und auch im Islam.

Man mag in Deutschland hier besonders an die liberal-reformpädagogische Odenwaldschule denken, wo ein Netzwerk krimineller pädophiler Lehrer mit dem Direktor an der Spitze Hunderte von Schülern jahrzehntelang sexuell missbrauchte, wie 2010 bekannt wurde. Oder in den 1980er und frühen 1990er Jahren die Unterwanderung der Partei Die Grünen durch ein ebensolches Netzwerk krimineller Päderasten, auch in zahlreichen Führungspositionen. Deren pädophile Ziele propagierte sogar das Grundsatzprogramm von 1980: "Das war bei den Grünen Mainstream" (D. Cohn-Bendit, Spiegel online, 12.05.2013). Allein im Berliner Landesverband hat es „massiven sexuellen Missbrauch von Kindern gegeben“, der nach Aussage des Abgeordneten Thomas Birk bis zu 1000 Kinder betraf. Das ist meist wenig bewusst, da die Massenmedien sich fast exklusiv auf die Römische Kirche konzentrieren und das mit nachgewiesenermaßen unlauteren Manipulationen, Falschanklagen und Hassreden. So auch in dem jüngsten Pennsylvania-Report, einem aus mehreren Gründen makabren Schauprozess. Siehe die Seite The Media.Report.com.

Galoppierende Infantilisierung

Der zentrale Punkt der prophetischen Intervention Viganòs ist vielmehr die galoppierende Homosexualisierung und dies ist in der Sache eine galoppierende Infantilisierung des Klerus der Westkirche. Eine pathologische Infantilisierung, die mit zeitgeistigem Wissenschaftsschrott (junk science) rationalisiert wird. In mafiösen Netzwerken organisiert infiltriert sie das kirchliche Sozialsystem, von den Seminaren bis in die Spitzen der Hierarchie. Es geht darum, dass unreife Knaben und moralisch korrupte Psychopathen in wachsendem Umfang die Ämter der Kirche usurpieren. Während der Prozentsatz Homosexueller in der Gesellschaft bei ca. 1,5 2 % liegt, ist er im Klerus nach vorsichtigen Schätzungen das Fünffache: 10 % und regional bis 20 % und mehr. Auch angesichts der Tatsache, dass Homosexuelle in der Hierarchie aller Bekenntnisse und Religionen überproportional vertreten sind, ist dies alarmierend. Seit in den 1960er/1970er Jahren unter Paul VI. homophile Geistliche und Bischöfe auf breiter Front, v.a. in den USA, etabliert und begünstigt wurden, fiel kompetenten Beobachtern ein Leistungs- und Profilverlust im Priestertum auf, eine allgemeine Schwächlichkeit. Es gibt in den USA eine einflussreiche Lobby im progressistischen Klerus einschließlich einer einschlägigen Programmschrift, das Presbyterat zu einer rein homosexuellen Domäne zu machen. Das wäre der offizielle Rückfall in das vormessianische Heidentum mit seiner homosexuellen (und heterosexuellen) Kultprostitution. Das alles ist ein Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte.

Es ist der blasphemische Versuch, die göttliche Strafe über (neu)heidnische Verblendung und Verderbtheit zum Zeichen göttlicher Erwählung zu machen: "Weil ihr unverständiges Herz sich verfinsterte ... lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer treiben mit Männern Unzucht und erhalten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung" (Römerbrief 1, 21. 2627). Was von St. Paulus primär gemeint ist, ist die enthemmte Kultivierung und Propagierung einer Persönlichkeitsstörung durch nicht an dieser Persönlichkeitsstörung Leidende. Es ist die ideologische und gesellschaftliche Stilisierung einer widergöttlichen, in sexuellem Chaos, Krankheit und Gewalt endenden Abweichung zu einem trendigen und normalen Lebensstil. Oder zu einem Element des religiösen Kultes wie in den Tempeln des heidnischen Götzendienstes und Dämonenkultes. Es ist die Gier nach immer neuem unterschiedslosen Nervenkitzel seitens Menschen, die durch ihr geist- und würdeloses Triebleben übersättigt und entnervt sind. Denn: Je sinnlicher und unbeherrschter, desto reizloser und langweiliger; je geistiger und aszetischer, desto erotischer und faszinierender. Natürlich geschieht dies im Schulterschluss mit echten, militant ihre Defizite schönredenden und sich an ihr neurotisches Suchtverhalten klammernden Homosexuellen oder Lesbierinnen. Letztere tun das in aller Regel trotz besserer Einsicht (s.u.).

Haltloses Denken

Einer der ersten und dramatischsten Folgeschäden ist dann gerade der sexuelle Missbrauch Minderjähriger, der statistisch zweifelsfrei in 80 % der echten Fälle mit Homosexualität korreliert. Denn männliche Homosexualität ist immer auch der Versuch, sich durch sexuelle Gewalt sei es dominierend-aggressiv sei es verführend-masochistisch als männlich zu erleben und Minderwertigkeitsgefühle zu betäuben: "Da sie es nicht für wert erachteten, sich gemäß ihrer Erkenntnis an Gott zu halten, lieferte Gott sie einem haltlosen Denken aus, sodass sie tun, was sich nicht gehört: Sie sind voll ... Schlechtigkeit [...] ohne Liebe und Erbarmen [...] Sie erkennen, dass Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selbst, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln." (Römerbrief 1, 2830). Es ist praktisch nicht bestreitbar, dass der jetzige Bischof von Rom reflektiert und systematisch homosexuelle Geistliche und Bischöfe bevorzugt behandelt und ihre Vergehen gegen kanonisches und bürgerliches Recht nicht aus eigenem Antrieb bestraft.

Die Verführung und der Missbrauch Minderjähriger sind die zentrale Phantasie und Motivation Homosexueller. David Thorstad, President der New York's Gay Activists Alliance und Gründungsmitglied der North American Man/Boy Love Association (NAMBLA): "Pederasty has been the most enduring and universal form of homosexuality in the recorded history of mankind." Konkret: „Most of us [...] no doubt choose to share our sexuality with someone under the age of consent.“ Tom Reeves (19302012), Autor und Frontmann von NAMBLA, nennt Päderastie "a central feature of gay life." Nach Ed Hermance, Inhaber des vielleicht frühesten und prominentesten homosexuellen Buchlandens der USA (Giovanni's Room, Philadelphia) ist Päderastie die Grundlage aller „gay literature“: "If we pulled all the books that had adult-youth sexual themes, we wouldn't have many novels, memoirs, or biographies left." (Interview mit Benoit Denizet-Lewis, Boston Magazine, 2001)

Näheres findet sich bei Randy Engel, der führenden Expertin zu Geschichte, Taktik und Ausmaß der von Viganò angesprochenen Homosexuellen-Netzwerke: Pederasty and paedophilia – What's the difference? And what difference does it make? (In: Renew America, 04.04.2019). Der Aufsatz ist noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Denn heute wird im weltlichen wie theologischen Sprachgebrauch weithin der Begriff Päderastie gemieden und dafür lieber der milder erscheinende Ausdruck Pädophilie benutzt. Es handelt sich jedoch um begrifflich und empirisch sehr verschiedene Dinge, wie Engel präzise darlegt. Päderastie ist im Kern der Trieb homosexueller Männer nach hartem provokativem Sexualverkehr mit fremden, wechselnden, gleichgeschlechtlichen pubertären Jungen (Schwerpunkt 1215-Jährige). Pädophilie ist im Kern der Trieb heterosoexueller, sozial integrierter Männer nach eher erotischem als sexuellem Intimkontakt mit vorpubertären Kindern vor allem des anderen Geschlechtes, in der Regel aus dem persönlichen Umfeld (Schwerpunkt 612-jährige Mädchen). Analoges gilt für lesbische Homosexualität und Pädophilie. Angesichts der Perversion Pädophilie sollten gesunde Männer und Frauen in Sachen Liebkosung und Körperkontakt mit Kindern allerdings nicht in Schockstarre und Prüderie verfallen. Auch hier hängt richtiges und moralisches Verhalten ausschließlich am Urteil der praktischen Vernunft. Und es besteht nun massive Evidenz, dass für die gesunde Entwicklung (und bereits das Überleben) der Kinder der Körper- und Hautkontakt zu den primären Bezugspersonen der Mutter und des Vaters und auch gleichaltriger Familienmitglieder wichtiger als Nahrung sind. Speziell die Nähe und Bewunderung eines vernünftigen und starken Vaters ist für Mädchen von zentraler Bedeutung.

Homosexuelle und damit potentielle Päderasten sind nicht als Priesteramtskandidaten zuzulassen und grundsätzlich aus kirchlichen Ämtern zu entfernen. Sie sind nicht fähig zu überzeugender Führung. Ich spreche aus Erfahrung, welche gigantische Belastung solche Amtsinhaber für eine Institution darstellen, auch wenn sie sich äußerlich vollständig beherrschen und sich einen seelischen Panzer zugelegt haben. Sie sind keine ganzen, reifen Menschen, haben ein gravierend fehlerhaftes Urteilsvermögen und ihre theoretischen und moralischen Überzeugungen wirken aufgesetzt und inkohärent. Sie wirken auf andere oft wie wenn sie sich bemühten, eine soziale Rolle zu imitieren oder künstlich zu emulieren. Als Direktor einer Philosophisch-theologischen Hoschschule mit Seminar habe ich in allem Respekt und mit aller Freundlichkeit Bewerber mit solcher Neigung konsequent abgelehnt und mich für die umstandslose Laisierung auffällig gewordener Presbyter ausgesprochen. Letzterem Rat nicht gefolgt zu sein, hatte für die Verantwortlichen und vor allem für nicht wenige Jugendliche mindestens in einem Fall schlimme Folgen. Der unten vorzustellende Experte van den Aardweg pflichtet dem bei: Auch sich selbst beherrschende junge Männer mit dieser Neigung sind nicht geeignet als spirituelle Mentoren und Priester = Presbyter = wörtlich: reife, erfahrene und bewährte Älteste einer Gemeinde. Selbst solche, welche diese Persönlichkeitsstörung erfolgreich überwunden haben, was bei entsprechender Selbstdisziplin und Ausdauer schwierig, aber mehrheitlich möglich ist, sind nur in Ausnahmefällen zuzulassen. Siehe hierzu diesen Artikel

Wir stehen vor der Tatsache, dass der auf diesem Netzportal regelmäßig angesprochene und seit 200 Jahren fortschreitende Mangel und Verlust echter, reifer, intellektueller, spiritueller und sozialer Autorität in der Hierarchie der Westkirche an seinem tiefsten Punkt angekommen ist. Seit der liberalistischen und modernistischen Makromutation von Glaube, Moral und Liturgie ab den 1970er Jahren hat sich diese Entwicklung exponentiell beschleunigt und die Autorität ist jetzt regelrecht implodiert. Heute, 2018, haben die Geistlichen und Bischöfe der Westkirche endgültig keine Autorität mehr. Selbst man will und sich zwingt, ist es psychologisch ein Ding der Unmöglichkeit, sie als kompetente und vertrauenswürdige Autoritäten, Experten und Mentoren zu sehen und anzugehen. Das ist meine eigene Erfahrung, die ich aber um mich herum bestätigt finde. Alles was sie noch vermitteln können ist die objektive Kraft der Sakramente und die kirchenrechtlichen und administrativen Funktionen auf Pfarr- und Bistumsebene. Wobei selbst hier aufgrund der hochproblematischen künstlichen neuen Riten die Rechtgläubigkeit und Gültigkeit in vielen Fällen zweifelhaft sind (siehe oben).

Das Bewusstsein des Endes der säkularen westlichen Zivilisation inkl. des von ihr verführten und gleichgeschalteten Neokatholizismus ist weit verbreitet. Die besten Zeitanalytiker thematisieren diese Entwicklung inzwischen schwerpunktmäßig. Zu ihr gehört auch eine letzte, ultimative Machtentfaltung des Toten, Chaotischen und Dämonischen. Was aber zugleich von ferne und aus großen Tiefen zu spüren oder eher: erst zu ahnen ist, ist das leise, unterschwellige Wiedereinströmen neuen Lebens. Man kann m. E seit 2019 erstmals wieder hie und da einen Vorgeschmack des verlorenen Paradieses eratmen, aus dem wir seit 1968 vertrieben waren: "Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land." (E. Mörike)

Selbstvertrauen versus Selbstmitleid

Es gibt unterschiedliche Varianten und Ursachen von Geschlechtsunsicherheit und homophiler Neigungen und Akte. Siehe oben und in Folge. In den allermeisten Fällen echter homosexueller und lesbischer Menschen liegt jedoch eine typische und generalisierbare Genese vor. Dazu gehört, dass sie meist bzw. in der Regel auch Opfer sind der Defizite ihrer präpubertären Sozialisation durch Vater und Mutter. Risikofaktoren sind eine herrisch dominante und/oder überbehütende und/oder narzistisch vereinnahmende Mutter und ein schwacher, verständnisloser oder psychologisch abwesender Vater. Ein noch regelmäßigerer und der zentrale Risikofaktor überhaupt ist eine erzwungene oder selbstverursachte Ausgegrenztheit von gleichaltrigen Jugendlichen des eigenen Geschlechts (peer-groups), also eine Außenseiter- oder Versagerrolle, soziale Isolierung, Verachtung und Spott, Minderwertigkeitsgefühle als Mann resp. Mädchen. Überhaupt keine Rolle bei der Ausbildung von Homosexualität spielen gleichgeschlechtliche erotische Freundschaften und/oder sexuelle Kontakte unter gleichaltrigen (vor)pubertären Jugendlichen, solange die Betroffenen sozial integriert und anerkannt sind. Mit zunehmendem Alter und/oder Reife verschwinden diese vollständig angesichts der erotischen Anziehungskraft des anderen Geschlechtes.

Aufgrund der beschriebenen Mitverantwortung des sozialen Umfeldes haben solche Menschen daher Anspruch auf Hilfe und Unterstützung in Aufarbeitung ihrer Defizite. Sie sind charakterlich und emotional als partielle Knaben oder Vorpubertierende anzusprechen, was neurotisch und infantil ist. Vgl. das aggressiv bekämpfte, aber wissenschaftlich und ethisch brillante Grundlagenwerk des auch in der psychotherapeutischen Praxis führenden Experten zum Thema Gerard van den Aardweg: Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen. Analyse und Therapie, Holzgerlingen 31995 [Engl.: On the Origins and Treatment of Homosexuality: A Psychoanalytic Reinterpretation, New York 1986]. Insbesondere ist die sehr überzeugend begründete These wichtig: Es gibt keine angeborene, genetische Homosexualität. Sie entsteht stets epigenetisch als präzise zu definierende Persönlichkeitsstörung in der Vorpubertät. Häufig ist homosexueller sexueller Missbrauch der Auslöser.

Noch häufiger ist das Kernsymptom, so van den Aardweg, eine schmachtende Sehnsucht und Fixiertsein auf Anerkennung, Freundschaft und Liebe seitens der als unerreichbare Idole bewunderten gleichgeschlechtlichen Kameraden und /oder der unerreichbaren Väter der Jugendzeit. Entscheidend ist die Romantisierung der Männlichkeit. Deren Erotisierung ist sekundär und nur nachträglich. Und sie hat den ambivalenten Charakter einer Hassliebe (s.u.). Es ist letztlich ein neurotisches Klage- und Suchtverhalten, das nachweislich und objektiv für Betroffene eine enorme Belastung darstellt, welche als solche in der Mehrzahl auch subjektiv eingeräumt wird. Und es ist ein Verhalten, das im sexuellen Missbrauch von Kindern und Abhängigen das kriminelle Potential heimtückischer Versager offenbart: "A clear majority of these men are 'out of control'" und zwar aufgrund von Neid: "Van den Aardweg talks about the psychology of envy as central" (A. Dean Bird, Professor für Psychiatrie, University of Utah).

Der aktuelle wissenschaftliche Standard

Es gibt noch andere Aspekte als die bei van den Aardweg im Vordergrund stehenden. Das umfassendste und aktuellste Handbuch hierzu stammt von Joseph Nicolosi: Shame and Attachment Loss: The Practical Work of Reparative Therapy, IVP Academic 22016. Robert Perloff, Präsident der American Psychological Association (19851986), nennt das die Einsichten van den Aardwegs und anderer Pioniere präzisierende, erweiternde und aktualisierende Werk „groundbreaking“ und ein „must reading from top to bottom“. Nicolosi (19472017), charismatischer Psychotherapeut und Klinischer Direktor in Los Angeles, ist bzw. war ein besonders erfahrener, weltweit gefragter und medial präsenter Experte, dessen internationaler Schülerkreis viele Hunderte Mediziner und Psychologen umfasst. Sein Netzportal und jenes der von ihm mitbegründeten Alliance for Therapeutic Choice and Scientific Integrity bieten die ultimative wissenschaftliche Orientierung zur Sache und zahlreiche persönliche Erfahrungsbereichte früherer Homosexueller zeigen allgemeinverständlich und intuitiv, wie die Dinge zusammenhängen. Aufschlussreich ist hier auch Joseph und Linda Nicolosis erfahrungsgesättigter und lebendig geschriebener A Parent's Guide to Preventing Homosexuality, Madison, WI, 22017. Das Feld der Homosexualität ist erst in den letzten 30 Jahren wissenschaftlich systematisch erschlossen worden. Die bedeutendsten Forschungsergebnisse und Gesamtdarstellungen stammen von Joseph Nicolosi.

Nicolosis Ausgangspunkt ist: Homosexualität ist eigentlich eine Entwicklungsstörung. Sie hat nichts mit Sex zu tun. In Wirklichkeit ist sie die persönliche Suche nach Zugehörigkeit nach Aufmerksamkeit, Zuneigung und Akzeptanz. Das sind alles normale emotionale bzw. beziehungsbezogene Bedürfnisse, die sexualisiert wurden." Nicolosi in dem vorgestellten Werk Shame and Attachment Loss: “It is the work of therapy to undo the shame stemming from perceived deficiency in one’s gendered self ... to repair the attachment loss arising from a failure to bond with persons of the same sex and reconnect the man back to the gendered being he was designed to be.” Der theologische, mit Nicolosi zusammenarbeitende Experte Nr 1 Robert Gagnon präzisiert: "Same-sex attractions [are] an attempt- but inaccurate and wrongat self-repair of feelings of masculine inferiority through a sexual relationship with a person of the same sex in order to validate their own sex."

Die Heilung besteht im Ausstieg aus emotionaler Isolation, Verwirrung, Scham, Selbstsabotage und Selbsthass durch das überlegene Potential erwachsener Rationalität, Freiheit, Freundschaft und Liebe. Dieses erlaubt die Ortung und Auflösung der traumatischen kindlichen Hilflosigkeit und zwangsneurotischer Ersatzhandlungen, die Aktivierung männlicher Initiative, gesunder Aggression, Zorn und Selbstbewusstsein, Emanzipation von kontrollierenden Müttern, Abstellen des innerlichen Selbstmitleides. Mutatis mutandis gilt Entsprechendes für lesbische Frauen. Nicolosi berichtet, dass der Auslöser für homosexuelle Akte immer ein Erlebnis der Scham, der Erniedrigung, des Verlustes von selbstsicherer Spannkraft und des Ruhens in sich selbst ist, gefolgt von einem Wegdriften von der eigenen authentischen Person und Versacken in depressiver Misstimmung, Ängstlichkeit und Verunsicherung. Nicolosis Therapie zielt auf Neutralisierung dieser Schamerlebnisse und Wiederaufbau eines gesunden, robusten ausbalancierten Selbstgefühls, wodurch innerhalb 20 Minuten homosexuelle Gefühle bzw. Erregbarkeit verschwinden und die Anziehungskraft des anderen Geschlechtes in das Bewusstsein tritt. Natürlich erfordert der Aufbau einer dauerhaft stabilen Persönlichkeit und Selbstachtung mit einem echte, personale .Aufmerksamkeit, Zuneigung und Akzeptanz signalisierenden Mentor oder Freund/in oder auch einer Gruppe einen längeren Zeitraum.

Nicolosi ist römischer Katholik und ein spiritueller Mann, der atheistische, jüdische, moslemische u.a. Klienten aus der ganzen Welt anzog. Auf seinem Portal präsentiert er eine biblische und moraltheologische Evaluation aller Aspekte des Themas, die wir überzeugend finden. Sie stammt von dem o.e. protestantischen Professor für Neues Testament Robert A. J. Gagnon (Pittsburgh). Er gilt als "the foremost traditionalist interpreter" zur Frage der Homosexualität im Verhältnis zu Christentum und Bibel mit mehreren Büchern zum Thema, u.a. dem Grundlagenwerk The Bible and Homosexual Practice. Texts and Hermeneutics, Nashville 2003. Gagnon beschreibt das Verhältnis von psychologischer Therapie und religiöser Erlösung / Bekehrung in unserer Frage als komplementär. Es ist unbestreitbar, dass zahllose Menschen den Weg aus homosexuellem Zwang, Scham und Isolation durch die Erfahrung überzeugender persönlicher Beziehungen und Freundschaften mit gläubigen Männern, Frauen und Jugendlichen finden, und damit zusammenhängend im Aufbau einer persönlichen Beziehung zu Gott in Gebet, Meditation und Aszese. 

Sie machen sich zum Narren

Ein besonders zu erwähnender nonstarter ist in diesem Zusammenhang die homosexuelle Partnerschaft und ihre juristische Aufwertung durch den sterbenden Westen in der sogenannten Homo-Ehe. Es ist kein Zweifel, dass solche Partnerschaften eine große Lobby in der zeitgeistschlüpfrigen Hierarchie der Westkirche haben, selbst wenn man sich offiziell gegen die Homo-Ehe stellt, darunter einflussreiche amerikanische Bischöfe, Kardinal Schönborn von Wien und der jetzige Inhaber des Apostolischen Stuhles in Rom. Diese Lobby sagt, dass die stabile homosexuelle Beziehung in einer institutionalisierten Partnerschaft oder Homo-Ehe das moralisch kleinere Übel sei als eine ungeregelte Promiskuität oder sogar den Wert der Treue verkörpern könne.

Van den Aardweg hat 2015 in einem Kommentar zu einem programmatischen Interview Kardinal Schönborns in der vatikanischen Wochenzeitung Civiltà cattolica klargemacht, dass diese Lobby sich aus Ignoranz zum Narren macht und um den letzten Kredit bringt. Denn Statistiken zeigen, dass die sexuelle Promiskuität in einer Homo-Ehe noch um 100 % zunimmt, also Seitensprünge noch sehr viel häufiger sind als bei nicht Gebundenen. Auch das Risiko einer HIV-Infektion wird somit doppelt so groß. Dass ferner diese Beziehungen nach einer Umfrage eines deutschen Homomagazins in 94 % der Fälle nach einem halben Jahr wieder zu Ende sind. Dass sie weiterhin aufgrund der unnatürlichen, neurotischen Rahmenbedingungen typischerweise als eine Serie von Eifersuchtsdramen erfahren werden, als wechselseitiger emotionaler Missbrauch oder sogar psychosoziale Hölle. Das Gewaltpotential zwischen den Partnern ist um 300 % größer und die Selbstmordrate ist um 800 % höher als in heterosexuellen Partnerschaften. Nicolosi bilanziert in The Traumatic Foundation of Male Homosexuality, dass "the dysfunction of the gay male world ... undeniable" sei: "The act of sodomy itself is intrinsically masochistic. Anal intercourse, as a violation of our bodily design, is unhealthy and anatomically destructive, damaging the rectum and spreading disease because the rectal tissues are fragile and porous. Psychologically, the act humiliates and demeans a man’s dignity and masculinity." Wissenschaftliche Studien zeigen ferner: Angst-, Panik-, Bipolar-, Verhaltens- und Zwangsstörungen sowie Nikotin-, Alkohol-, Sex- und Drogenabhängigkeit sind 300700 % häufiger als sonst.

Führungskräfte mit solch krassen Defiziten an Wissen, Glauben, Lebenserfahrung und Persönlichkeitsentwicklung haben kein Recht zu irgendwelchen Experimenten oder eigenen Agenden. Sie haben die moralische Pflicht zur Ein- und Unterordnung in die von dem Messias und den Propheten und Aposteln, geoffenbarte und in unterschiedlichsten Kulturen und über viele Epochen hinweg organisch fortgebildete und millionenfach bewährte Weisheit der Tradition. 

Kutscheras Gender-Kritik

Moralisch besonders verantwortungslos und verwerflich ist, so van den Aardweg, in solche Szenarios wie oben geschildert, Kinder zur Adoption freizugeben. Letzteres ist auch die Überzeugung des vielleicht kämpferischsten deutschen Atheisten und Darwinisten, des Professors für Biologie Ulrich Kutschera (Kassel / Stanford), der zugleich der engagierteste wissenschaftliche Vorkämpfer gegen Gender-Studien, Gender-Politik und Ehe für alle geworden ist. Also gegen die These, es gebe ein beliebig programmierbares oder wählbares psychosoziales Geschlecht (= gender) unabhängig von der biologisch-genetischen Veranlagung des Menschen: "Da die 'Gender Studies' biologische Sachverhalte ignorieren bzw. verdrehen, sind sie keine ergebnisoffene Wissenschaft, sondern politische Propaganda [...] Die im Namen der ... Gender-Irrlehre vorgesehene Zerstörung der 'Überlebenseinheit Familie' muss als destruktiv-pathologische Zeiterscheinung bewertet werden" (Tagesspiegel, 29.05.2017).

Kutschera legt den Finger besonders auf das Tabuthema schwersten sexuellen Missbrauchs von adoptierten Jungen und Mädchen in homosexuellen Partnerschaften und deren lebenslange Traumatisierung unter Verweis auf drei neue, das Thema erstmals wissenschaftlich dokumentierende Sammelbände (Lopez, R. O., Klein, B. (Eds.) (2016) Jephthah’s Children. The Innocent Casualties of Same-Sex Parenting. 2. Ed., London; Gartner, R. B. (Ed.) (2018) Understanding the Sexual Betrayal of Boys and Men: The Trauma of Sexual Abuse, Abingdon; Gartner, R. B. (Ed.) (2018) Healing Sexually Betrayed Men and Boys: Treatment for Sexual Abuse, Assault, and Trauma, Abingdon). Dazu gehört auch, so Kutschera wiederum unter Verweis auf diese Studien, die seelische Folter eines adoptierten Jungen mit biologisch normaler Geschlechtsorientierung, wozu eine "erblich fixierte (instinktive) Homophobie" gehört. Das heißt, seine Instinktausstattung ist "verbunden mit einer massiven emotionalen Abscheu dessen, was er täglich mit ansehen muss". Und es gehört dazu die emotionale Frustrierung elementarster Bedürfnisse dieser Kinder: "Die Mutter-Kind-Bindung [hat sich in Natur und Kultur] als stärkstes Band überhaupt herausgebildet. Entzieht man dem Kind somit vorsätzlich die Mutter als Bezugsperson (Homo-Männerpaare), oder versucht, den biologischen Erzeuger (Vater) durch eine Frau zu ersetzen, so ist das eine Verletzung des elementarsten Menschenrechts, das überhaupt existiert." (kath.net, 05.07.2017]

Da sich in dieser Perspektive eine lockere publizistische Kooperation Kutscheras mit traditionsorientierten Personen und Organen der Römischen Kirche entwickelt hat, soll darauf hingewiesen werden, dass Kutschera an eine genetische Grundlegung echter Homophilie glaubt und hierfür einige neuere Studien anführt. Genetisch und hormonell gibt es nun begünstigende Dispositionen, aber keine determinierenden Ursachen. Ein besonders überzeugendes Argument ist die berühmte, 33.000 genetisch identische Zwillinge Australiens erfassende Zwillingsstudie aus dem Jahre 2000. Deren Ergebnis wurde durch weitere großangelegte Zwillingsstudien bestätigt, die dokumentieren: Nicht 100 %, sondern lediglich 1030 % der Zwillingsgeschwister von homosexuellen Zwillingen zeigen dieselbe Neigung. Wir meinen, dass hier ein interdisziplinärer Ansatz unter Führung der Psychologie das gewichtigere Wort hat und z.B. van den Aardwegs erfahrungsgesättigte Diagnose näher an der Realität ist. Man sieht das sofort an drei Aussagen Kutscheras, wo er völlig fehl liegt. So an der Behauptung, dass die homosexuelle Ausrichtung nicht unterschiedliche Abstufungen bis hin zur Bisexualität aufweise, sondern wie ein genetischer Schalter entweder ganz da ist oder nicht. Hier springt besonders deutlich ins Auge, wie seine biologistische Hypothese genetischer Monokausalität gegen die Fakten steht, die eine große Bandbreite unterschiedlicher Ausprägungsgrade und fließender Varianten zeigen. Es ist z.B. Fakt, dass Bisexuelle über 50 % des Spektrums ausmachen.

Auch die weitere These Kutscheras, dass Homosexualität völlig unbeeinflussbar und unveränderlich sei, weil biologisch bedingt, ist schlichter Unsinn. Van den Aardweg berichtet aus seiner psychotherapeutischen Praxis in Amsterdam, dass bei homosexuellen Klienten, die Wille und Ausdauer zur Veränderung hatten, "die Therapie in 65 % der Fälle zu einem positiven Ergebnis führte." (a.a.O. 1995, 468) Konkret hatten 19 % "keine homosexuellen Interessen" mehr, stattdessen "normale heterosexuelle Interessen"; von den anderen 46 % schreibt er: "Heterosexuelle Interessen herrschen vor" (ebd. 466). Ähnliche Zahlen legte der prominente New Yorker Professor für klinische Psychiatrie Socarides vor: "He estimated that he had helped 35 percent of his gay patients to 'become heterosexual' and a slightly smaller percentage [ca. 30 %] to control their gay impulses." (New York Times, 28.12.2005: Nachruf Dr. Charles W. Socarides). Ein dritter Zeuge ist Nicholas Cummings, Präsident der American Psychological Association (19791980): "When I was chief psychologist [in San Francisco für den Gesundheitskonzern Kaiser Permanente] from 1959 to 1979 I personally saw more than 2,000 patients with same-sex attraction, and my staff saw thousands more [...] Of the patients I oversaw who sought to change their orientation, hundreds were successful." (USA Today, 30.07.2013) Das stärkste Argument ist jedoch, dass 50 % der Homosexuellen während ihres Lebens spontan, ohne Therapie, zu ausschließlicher Heterosexualität wechseln. Besonders Jugendliche: In der Gruppe der 16 bis 17-Jährigen sind es 98 %. Es gibt statistisch daher mehr Ex-Homosexuelle als Homosexuelle. Einen systematischen Überblick zur Faktenlage gibt die Artikelserie The Science Facts on Same-sex Attractions (2016/2017) des Netzportals exgaycalling.com.

Schließlich ist auch eine weitere, dritte Behauptung Kutscheras freie Phantasiebildung, dass nämlich Homosexuelle biologisch determinierte körperliche Abscheu vor Frauen hätten bzw. Lesbierinnen vor Männern. Dies kommt gelegentlich vor aufgrund Traumatisierung durch gedankenlose oder respektlose Mütter. Tatsächlich ist aber die Grundhaltung sonst nicht Abscheu, sondern Desinteresse und mehrheitlich Überfordertsein / Befangenheit angesichts erotischer Mann-Frau-Situationen, aber gekoppelt mit einem asexuellen Lieber-Junge-Verhalten Frauen gegenüber. Aber es gibt genauso auch den Fall intimer Kontakte zu Personen anderen Geschlechtes, wie mir aus meiner eigenen spirituellen und therapeutischen Begleitung von Betroffenen bekannt ist.

Allerdings ist eine Abscheu vor der Intimität von Frauen in anderer Weise durchaus zentral, aber als psychosozial erworbene emotionale, nicht als biologisch bedingte sexuelle. Die schon erwähnte Seite Exgay Calling, ein führendes soziales, wissenschaftliches und juristisches Portal Ex-Homosexueller, bietet dazu eine Artikelserie / E-Buch mit dem Titel: No More Squaw Camp. A Series Exploring your Full Sexual Potential. Das Buch hat keinen religiösen, sondern einen rein säkularen Hintergrund.und wurde 2017/2018 von dem ehemals homophilen Psychiater Job Berendsen veröffentlicht. Es beschreibt die sozio-emotionale Entstehung der Homophilie als verpassten Anschluss des Jungen an den Vater und die Welt des Mannes, als bedrückendes, ebenso angepasstes wie ressentimentgeladenes Hängenbleiben im Squaw Camp. Als Protest und Abwehr gegen die emotionale Übersättigung und Unterdrückung durch eine weibliche Umgebung bei gleichzeitiger übermächtiger Sehnsucht nach der bewunderten Freiheit, Disziplin, Stärke und Ausstrahlung voll entwickelter Männer. 

Vom Glauben zum Wissen: Literaturportal

Systematik der Theologie

Am Ende des Menus zur Religionsphilosophie sagten wir: Unsere fachübergreifenden Analysen und persönlichen Erfahrungen führen uns an die Schwelle von "Bereichen, die eine höherstufige Zugangsberechtigung erfordern. Diese lautet: Crede ut intelligas Vom Glauben zum Wissen. Der Zugang zu den Bereichen, in denen wir uns bisher bewegten, erfolgte hingegen mit der Devise: Intellige ut credas Vom Wissen zum Glauben." In diesem Abschnitt stellen wir uns dieser Herausforderung.

Im Unterschied zu den vorhergehenden Menus unter Einschluss der Religionsphilosophie werden wir, von Ausnahmen abgesehen, zur Theologie allerdings keine systematischen Skripte oder Abhandlungen vorlegen. Der Grund ist, dass akademisch oder autodidaktisch gebildete Leser, die sich mit den Disziplinen dieser Menus vertraut gemacht haben, ohne weiteres an den Punkt gelangt sind, normative Quellenschriften, klassische Handbücher und wichtige Aufsätze der Theologie mit Einsicht und Gewinn zur Hand zu nehmen, sofern keine sprachlichen Barrieren bestehen. Wir brauchen hier nicht das Rad neu erfinden oder Eulen nach Athen tragen.

Unsere Tätigkeit wird sich deswegen darauf beschränken, u.U. Interessierten bei der Auswahl erstrangig einschlägiger und substantieller Literatur behilflich zu sein und, wo nötig oder hilfreich, eine erste kurze Orientierung zu geben. Wenn und wo dies der Fall sein sollte, folgt die Gliederung der Literaturhinweise der etablierten Ordnung der theologischen Fächer, deren Detailgliederung freilich je nach Autor und Hintergrund unterschiedlich ausfällt. Wir verwenden die folgende Einteilung:

(I) Biblische Theologie

(II) Historische Theologie

(III) Systematische Theologie [Fundamentaltheologie Dogmatik Theologische Ethik / Moraltheologie]

(IV) Praktische Theologie [Liturgik Kirchenrecht Aszetik Pastoraltheologie]

Ein erste Liste erstrangiger Klassiker bietet der folgende Abschnitt.

Bücher, die die Welt bedeuten

Walther Brüning, 19681992 Professor der Philosophie an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz, begann sein Hauptseminar zur Metaphysik des Aristoteles mit folgender Lockerungsübung: „Ein beliebtes Fragebogenthema ist: Wenn Sie auf eine einsame Insel verbannt oder per Schiffbruch verschlagen würden, welche zwei Bücher würden Sie mitnehmen bzw. würden Sie sich wünschen dabei zu haben? Nun, das erste ist sowieso selbstverständlich: die Bibel. Das andere Buch wäre, wenn man mich fragte, die Metaphysik des Aristoteles.“

Das Buch der Bücher

Es mag im Rahmen des vorliegenden Literaturportals für den einen oder anderen Leser vielleicht interessant sein, zu erfahren, wie der Verfasser dieser Zeilen obige Frage beantworten würde. Nun, das erste Buch wäre ebenfalls die Bibel des Alten und Neuen Testamentes. Oder alternativ das Missale Romanum (der Tradition), die rituelle Vergegenwärtigung der gesamten, in der Messiasbiographie gipfelnden Bibel und ihrer Wirkungsgeschichte in der messianischen Ära. Oder noch einmal alternativ: das Officium divinum oder Breviarium Romanum (der Tradition), die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit in der Meditation wiederum der gesamten Bibel in Psalmen, Schriftlesung und Väterkommentaren, eingebettet in den Jahresfestkreis der Messiasbiographie und den Heiligenfestkreis der Weisen und Gerechten der Menschheit. Goethe soll einmal gesagt haben, er gebe sein gesamtes literarisches Lebenswerk hin, wenn ihm gestattet würde, ein so überragendes Gesamtkunstwerk wie das Missale Romanum.zu schaffen. Si non è vero è ben trovato.

À propos Mathematik

Was das zweite Buch angeht, so ist die Frage, welche Werke so anziehend, gründlich und gültig resp. anregend sind, dass der Geist sich erstens ohne Überdruss ein Leben lang damit beschäftigen kann und zweitens dabei wenigstens einschlussweise eine realitätsdichte Sicht auf die Welt gewinnt. Folgende formalwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Werke kommen mir dabei in den Sinn. Sie sind lediglich chronologisch aufgelistet ohne sie in irgendeiner Form zu priorisieren. Dass philosophische Klassiker mit erscheinen, ergibt sich aus der engen Verbindung zur Theologie. Zur Mitberücksichtigung der Formalwissenschaften erinnere ich an das Motto über dem Eingang zur Akademie Platons Ageōmétrētos mēdeìs eisítō / "Kein der Mathematik Unkundiger trete hier ein". Und an den weiteren Ausspruch Platons, den Plutarch berichtet: Aei ho theos geōmetreî / "Gott wirkt immer mathematisch", dessen biblisches Gegenstück das Buch der Weisheit 11, 20 ist: „Du [= Gott] hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ In den allgemeinbildenden Frühschriften St. Augustins wird diese Einsicht methodisch konsequent durchgeführt, so in De musica, was zugleich und eigentlich eine Philosophie der Mathematik ist, in De libero arbitrioVom freien Willen und auch sehr ausdrücklich in De vera religione / Über die wahre Religion (Kap. XLII, 79):

Betrachte Himmel, Erde, Meer und alles, was da glänzt und kriecht und fliegt und schwimmt: alles hat Formen, weil es Zahlen hat; nimm sie fort und alles wird zunichte [...] Und frage, was im Tanz ergötzt, antworten wird die Zahl: Siehe, ich bin's. Betrachte die Schönheit des geformten Körpers: Zahlen sind im Räumlichen festgehalten. Betrachte die Schönheit der Bewegung im Körper: Zahlen gewinnen Leben im Zeitlichen.“

Deswegen gilt im klassischen Bildungsprogramm die Mathematik als Einführungsdisziplin der Theologie und als erste Reflexionsstufe auf dem Weg zur Transzendenz. So auch bei dem Römischen Konsul und Ministerpräsident Theoderich des Großen Boethius, neben Ambrosius und Augustinus intellektueller Vater der messianischen Zivilisation im Westen. Aus diesem Grund stehen am Schluss der Liste auch eine Reihe klassischer, vielgelobter Übersichtsbände zur Mathematik und zu mathematischen Naturwissenschaften einschließlich der Kognitionspsychologie. Sie taugen gleichfalls für die Insel, insofern sie täglichen Stoff zum Nachdenken bieten können und (implizit) authentischer über die mathematische Theologie der Natur informieren als die Mehrzahl der philosophischen und theologischen Erzeugnisse unseres Zeitalters. Sie würden Kant heute zur ekstatischen Bewunderung hinreißen, der schon 1794 angesichts der Erkenntnisse der frühen Naturwissenschaft seine Religionsschrift mit den Worten beschloss: "So hat die Betrachtung der tiefen Weisheit der göttlichen Schöpfung an den kleinsten Dingen und ihrer Majestät im Großen, so wie sie zwar schon von jeher von Menschen hat erkannt werden können, in neueren Zeiten aber zum höchsten Bewundern erweitert worden ist, eine solche Kraft, das Gemüt ... in ... Anbetung ... zu versetzen, [...] weil das Gefühl aus einer solchen Anschauung der Hand Gottes unaussprechlich ist" (RiGbV , 2. Aufl. 307).

Noch einmal zu Kant

In der folgenden Liste sind auch die drei Hauptwerke Kants aus der kritischen Periode aufgenommen. Auf der Leitseite wurde deutlich gemacht: In dem vorliegenden Weltbildlabor wird die kantische Philosophie deswegen aufgegriffen, weil sie sich für eine Architektonik der Kognition eignet und in dieser Funktion weltweit eingeführt ist. Die inhaltliche Stellung Kants zum Denk- und Lebensraum der messianischen Zivilisation wurde in den Menus Negative Theologie und Atheismusdebatte sowie Handlungstheorie und Ethik erörtert und bewertet. Es ergab sich, dass die kantischen Hauptwerke bei entsprechender Vorbildung und klarem Kopf viel Stoff und Anregung bieten können. Andererseits sollte man sie keinesfalls überbewerten oder gar dogmatisieren. Kant ist in der lutherischen Konfession pietistischer Richtung sozialisiert worden; darüber legt sich später ein von natürlichen moralischen Intuitionen gespeister Rationalismus. Das ist sein Horizont und das sind seine Grenzen.

Auf der anderen Seite ist, speziell in theologischer Hinsicht, an die Belege auf unserer Leitseite zu erinnern, wonach Kant sich bewusst — und für viele Zeitgenossen überraschend und verwirrend — in der philosophischen Tradition positionierte. Ein sprechendes Beispiel hierfür ist das ebenfalls bereits erwähnte Folgende. Die Initiative zur Zensurierung der Kritik der reinen Vernunft durch die Römische Kirche war ursprünglich dadurch motiviert, dass der Wiener Theologe Peter Miotti ihm vorwarf, die Scholastik und den Aristotelismus wieder einführen zu wollen und so den neuzeitlichen Höhenflug der mathematischen Naturwissenschaft und Aufklärungsphilosophie zu gefährden. Vgl. N. Fischer (Hrsg.): Kant und der Katholizismus, Freiburg / Basel / Wien 2005, 91—138.

Hinwiederum muss man sich auch im Klaren sein, dass die für Kant selbstverständliche Kontinuität mit der Tradition bereits im ersten Augenblick der schulmäßigen Ausbildung des Kantianismus verlorengegangen zu sein scheint. Die Epigonen sahen paradoxerweise in Kant die Stunde Null der Philosophie. Damit ergibt sich als hermeneutisches Paradox, dass man für ein volles und nutzbringendes Verständnis Kants von der Tradition herkommen muss. Die besten Ergebnisse der Kantforschung zeigen das regelmäßig. Die sehr einflussreiche sogenannte metaphysische Kantforschung des 20. Jh. hat diese Einsicht zum Programm gemacht.

Zur Entschuldigung der Epigonen kann freilich angeführt werden, dass manche Redeweisen Kants dazu verführen konnten, an eine Stunde Null oder Revolution zu denken. Insbesondere jene von der notwendigen Revision und Rekonstruktion des Gebäudes der Metaphysik. Kant sah seine Lebensaufgabe darin, die Metaphysik zu einer strengen objektiven Wissenschaft wie Logik und Mathematik zu machen. Und zwar sowohl die immanente Metaphysik als Theorie der Kognition wie auch und besonders die transzendente Metaphysik als Kognition Gottes, der Seele und der Moral.

Kant machte allerdings unmissverständlich deutlich, dass er dafür bei allen Korrekturen an G. W. Leibniz und Christian Wolff die scholastische Philosophie und Methode als unabdingbar ansah, wie sie — Leibniz' Wertschätzung Platons, Aristoteles' und der Scholastik weiterführend — im 18. Jh. "der große Wolff" perfektioniert hatte. Es bleibt daher unentschuldbar, dass das von den Schülern vollständig ignoriert wurde, so Hans Vaihinger in dem epochalen Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft (2. Aufl. Stuttgart / Berlin / Leipzig 1922).

Wie St. Augustin sagt Kant an zahllosen Stellen, die Interessierte ebenfalls bei Vaihinger zusammengestellt finden, dass ihn letztlich nur Gott und die Seele interessiere. Dass Menschen — er eingeschlossen — nur deswegen ein solches starkes und elementares Interesse an der Metaphysik nehmen, weil es um die Themen Gott und Seele sowie Moral und Lebenssinn (Weisheit) geht. Und dass es ein Skandal sei, dass dieser wichtigste und interessanteste Kernbereich der Kognition auf der philosophischen Ebene bisher keine definitive wissenschaftliche Aufarbeitung erfahren habe.

Ursprünglich plante Kant dafür eine Arbeitsgruppe im Sinne der heutigen Exzellenz-Cluster aufzustellen und sprach dazu eine Reihe bekannter Namen wie den führenden Logiker, Mathematiker, Physiker und Kognitionsforscher J. H. Lambert mit Erfolg an. Das Vorhaben setzte sich nicht durch. Aber die Grundidee blieb in der Form lebendig, dass Kant auch nach Fertigstellung der Kritik der reinen Vernunft ein äußertes Interesse daran hatte, dass Fachleute seine Theorie Stück für Stück prüften und Fehler feststellten, egal ob "von meinen Versuchen viel oder wenig übrig bleibt" oder ob man sogar seine Problemlösung "gründlich widerlegen und eine andere an deren Stelle setzen" werde (vgl. Vaihinger 1922, I, 146 und überhaupt 143—147). Entscheidend sei nur das Ziel: die definitive wissenschaftliche Metaphysik.

Theologische Wertung

Ein Antrieb für die starke Auseinandersetzung mit Kants Schriften auf diesem E-Portal ist auch der Respekt vor diesem akademischen letzten Willen Kants, nämlich seine Schriften zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern. Dazu natürlich die gemeinsame Motivation einer wissenschaftlichen Metaphysik. In diesem Horizont sollte man auch die großen und bedeutenden Werke der frühen Kantrezeption und Kantkritik 1781—1835 / 1837 in der katholischen Orthodoxie sehen. Besonders augenfällig ist dabei die offizielle Etablierung der kantischen Philosophie an der Universität Würzburg 1788—1835 durch den sehr angesehenen Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal und seinen Nachfolger Fürstbischof Georg Karl von Fechenbach. Insbesondere auch deswegen, weil es sich um eine exklusiv und offiziell römisch-katholische Hochschule mit geistlichen Lehrstuhlinhabern in der Philosophie und Theologie handelte.

Es gab und gibt bis heute weltweit keine Universität, die so geschlossen und über einen so langen Zeitraum, ein halbes Jahrhundert, in der Logik, Psychologie, Metaphysik und Ethik kantisch ausgerichtet war. An der sonst als Wiege der kantischen Philosophie betrachteten Universität Jena blieb diese ein kurzes Zwischenspiel und wurde bereits nach einem guten Jahrzehnt von den Vertretern des deutschen Idealismus und der Romantik abgelöst. Allenfalls kann man die neukantianische Epoche Marburgs und Heidelbergs 1870—1920 damit parallelisieren. Und Würzburg war die einzige Hochschule, welche ihren philosophischen Lehrplan in Zusammenarbeit mit Kant selbst und im Gespräch mit allen maßgeblichen Vordenkern des kantischen Systems (Reinhold, Fichte, Schulze, Schmid, Kiesewetter) entwarf. Die Würzburger theologische Fakultät erklärte sich 1800 mehrheitlich für die Vereinbarkeit des eigentlichen Systems Kants mit der Offenbarungsreligion, sie verwarf aber die Schriften Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft und Streit der Fakultäten.

Federführend war dabei Professor Matern Reuß OSB, der von 1788 bis 1798 eine Serie kantisch inspirierter Handbücher zu den philosophischen Fächern veröffentlichte. Seine Auffassung war: "Die kritische Philosophie ist und bleibt eine für die Menschheit sehr wohltätige Erscheinung unseres Jahrhunderts. Sie … gibt von den Problemen, welche das höchste Interesse der Menschheit ausmachen, eine Auflösung, wie sie vor ihr noch keine Philosophie gegeben hat. Ihr Wert ist also groß, und sie würdig… als ein schätzbares Produkt der philosophierenden Vernunft betrachtet, und durch gründliche Verbesserungen der noch in ihr vorrätigen Mängeln zur Würde einer allgemeingeltenden Wissenschaft empor gehobe zu werden.“ (Kurze und deutliche Darstellung des Kantischen Systemes nach seinem Hauptzwecke, Gange und innerem Werte, Bamberg 1795, 218). Sein Nachfolger, der Presbyter und Professor Peter Metz ist Autor dreier kantischer Lehrbücher der theoretischen Philosophie (1795, 1798, 1802), von fünf monographischen Bearbeitungen der kantischen Ethik (1796, 1798, 1800, 1807, 1826), von vier Logik-Textbüchern in der Nachfolge der Kant-Jäsche-Logik (1796, 1799, 1801, 1802) und von drei kantisch inspirierten Darstellungen der Empirischen Psychologie oder Anthropologie (1796, 1808, 1814).

Die Ausstrahlung der Würzburger Schule war enorm. Auch in den Orden und Abteien und deren höheren Schulen. Die Geistlichen des Bistums waren in der ersten Hälfte des 19. Jh. praktisch durchgängig philosophische Kantianer. Für die Erörterung der Sachfragen ist die Schule dennoch weniger ergiebig, da sie die kantischen Schriften eher paraphrasierte und für ihre Lehre anpasste und rekonstruierte. Dabei übernahm Reuß auch unselbständig landläufige Vorurteile und unzutreffende Deutungen Kants. So jene, dass dieser jede theoretische Gotteserkenntnis pauschal als unmöglich erwiesen habe. Das erklärt, weshalb die Würzburger Schule in der katholischen Orthodoxie sehr wohl heftige Kritik erfuhr, angefangen von dem bayerischen Nuntius Annibale della Genga, dem späteren Papst Leo XII.

Diese Kritik wurde auch systematisch und auf der akademischen Ebene formuliert. Insbesondere ist zu nennen Benedikt Stattler: Anti-Kant, 2 Bde., München 1788. Stattler, bis zur Auflösung 1773 Mitglied der Gesellschaft Jesu, ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 18. Jh., Professor und Prorektor der Universität Ingolstadt [heute LMU München] und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er ist ein immer selbständiger, substantieller und unerschrockener Denker und zugleich ein tagesaktueller Visionär, der die Welt nicht nur interpretieren, sondern auch gestalten will. Er ist nach meinem Kenntnisstand der weltweit einzige Geistliche und Theologe, der 1773 bei der Unterdrückung der Gesellschaft Jesu Clemens XIV ins Antlitz widersteht. Seine Schrift Freundschaftliche Vertheidigung der Gesellschaft Jesu zeigt den Vorgang als illegitim, weil massiv gegen Naturrecht, kanonisches Recht und das Gemeinwohl verstoßend. Auch Stattlers Evaluation der Berliner Aufklärung ist aktuell und umfasssend: Sein Werk Neues Jersusalem (1783) kommentiert und korrigiert im Detail — auf der Basis der neutestamentlichen Theologie und messianischen Zivilisation — Moses Mendelssohns Werk Jerusalem (1783).

Stattler hinterlässt ein riesiges wissenschaftliches Werk, das schon quantitativ im 18. Jh. wenige Parallelen hat und in der Kulturgeschichte einen respektablen Platz einnimmt. Es hat meiner Überzeugung nach Bedeutung für eine zukünftige echte Reform des heillosen Istzustandes des westlichen Christentums. Seine intellektuelle Biographie führte ihn nach seiner eigenen Einschätzung zu ähnlichen Kritikpunkten an der philosophischen Tradition wie Kant, allerdings mit ganz anderen Lösungen. Insofern ist er wie wenige ein berufener Prüfer der kantischen Schriften zwecks Optimierung der Sachfragen. In Sachen analytischer Begriffsmetaphysik unterschätzt Stattler allerdings ebensosehr die kantische Kontinuität mit der antik-scholastischen Tradition als Miotti sie überbewertet.

Ähnlich bedeutsam ist Jakob Anton von Zallinger zum Thurm: Disputationes philosophiae Kantianae libri duo, Augsburg 1799. Es handelt sich um den ersten fortlaufenden Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft überhaupt. Dessen gründliche Bildung, Klarheit und argumentative Logik wurde von Freund und Feind anerkannt, sodass auch er ein berufener Prüfer im Sinne und nach dem Willen Kants ist. Der Autor, ebenfalls bis 1773 Mitglied der Gesellschaft Jesu, ist Mathematiker und führender Vertreter der newtonschen Physik, zugleich sehr angesehener Autor des Naturrechtes und Staatskirchenrechtes, sowie Berater Pius VII. in der Neuorganisation der Kirche Deutschlands nach der Säkularisation.

Ebenfalls zu nennen ist hier Bernard Bolzano, Presbyter und Professor an der Karlsuniversität Prag, der wichtigste Logiker zwischen Leibniz und Frege, der seine monumentale Wissenschaftslehre (1837) in kritischer Auseinandersetzung mit Kant entwickelte. Er ist der Urgroßvater der Analytischen Philosophie (Michael Dummett). Siehe Walter Künne: Versuche über Bolzano / Essays on Bolzano, St. Augustin 2008. Bolzano ist zugleich — um den Vergleich noch einmal zu bemühen — der Großvater der Phänomenologie: Edmund Husserls Logische Untersuchungen sind primär durch Bolzanos Logik, Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie inspiriert, welche dieser gründlich durcharbeitete und im Wesentlichen übernahm. Auch Husserls Sicht und Kritik Kants geht auf Bolzano zurück.

Dabei geht es immer wieder darum, dass man die Begriffsanalyse, die intensionale Begriffslogik als bewusstseinsunabhängige Realität bei Kant vermisste. Und ebenso eine Fundierung der Wahrnehmungs- und Verstandessynthesen in objektiven empirischen Daten und Invarianzen. Beziehungsweise ihn so las, dass er die formale und materialanalytische Logik, aber auch die Mathematik und schon die Wahrnehmungssynthesis auf nur mentale Repräsentationen, Formen und Operationen des kognitiven Subjektes gegründet habe. Seine Transzendentalphilosophie sei eine sublime Form des Psychologismus und Idealismus. Er habe nicht verstanden, dass hier eine eigene Dimension ideeller Gegenstände vorliege, eine Sphäre objektiver Begriffsgehalte und -lagen. Also das, was Frege später das dritte Reich rationaler Gedanken nennen wird und Popper die Welt drei der Inhalte des Denkens. Man vermochte nicht zu sehen, dass Kants subjektiver Konzeptualismus (was nicht Relativismus ist, sondern Absehen vom realen Gegenstandsbezug meint) mit einem intentionalen, objektiven Konzeptualismus husserlschen Typs zusammengeht, ja dass das die genaue Pointe der kantischen Transzendentalphilosophie ist.

Bolzanos Kantkritik hat sein enger Mitarbeiter und Presbyter Franz Prihonsky in Zusammenarbeit mit Bolzano in die Form eines fortlaufenden kritischen Kommentars gebracht und postum veröffentlicht, unter dem Titel Neuer Anti-Kant oder Prüfung der Kritik der reinen Vernunft nach den in Bolzanos Wissenschaftslehre niedergelegten Begriffen (Bautzen 1850). Das Buch ist eine Sternstunde der Philosophie, da hier die zwei bedeutendsten Gründerväter der modernen Philosophie: Kant und Bolzano, sich auf höchstem Niveau eine unmittelbare Disputation oder virtuelle Debatte liefern. Es erfährt daher gegenwärtig ein erneuertes starkes Interesse inkl. neuer Editionen. Neben dem Abdruck in der laufenden Bolzano-Gesamtausgabe ist zu nennen E. Morscher / Ch. Thiel (Hrsg.): F. Prihonsky. Neuer Anti-Kant und Atomenlehre des seligen Bolzano, St. Augustin 2003. Und S. Lapointe: F. Prihonsky. The New Anti-Kant, Basingstroke 2014. Eine umfassende Darstellung der Kritiken Husserls (und mittelbar Bolzanos) an Kant ist hingegen Th. M. Seebohm: Die Bedingungen der Möglichkeit der Transzendentalphilosophie, Bonn 1961.

Es ist interessant, dass auch die Anhänger Kants dieselbe perspektivische Verzerrung zeigten: Die fundamentale und programmatische Kontinuität Kants mit der analytischen Begriffslogik und Metaphysik der Tradition wurde praktisch völlig ignoriert. Siehe oben Vaihingers Urteil, dass das angesichts der klaren Worte Kants hierzu hermeneutisch unentschuldbar sei. Es sei ein interpretatorischer GAU, der praktisch die gesamte Kantliteratur des 19. Jh. letztlich zu einem irrelevanten Gerede mache. Die großen Altmeister der historisch-philologischen Kantedition und -interpretatation Erich Adickes und Heinz Heimsoeth haben im 20. Jh. dieses Urteil erneuert. Ebenso und mit besonders klaren Worten die gründlichen und angesehenen Kantforscher Julius Ebbinghaus und Klaus Reich. Für sie besteht die Kantliteratur bis zum Zweiten Weltkrieg aus einer Anhäufung interpretatorischer Missverständnisse, die sich immer mehr aufgetürmt hätten.

Gottfried Martin, der Wiederbegünder der Kant-Studien nach dem Zweiten Weltkrieg, formulierte daher als besonders dringendes Bedürfnis der Kantforschung die Untersuchung und Aufklärung der Rolle und Bedeutung des analytischen Urteils, der Begriffslogik und der traditionellen Ontologie bei Kant. Denn diese hätten eine weit größere, ja entscheidende Bedeutung bei Kant als man dies bisher in den Blick bekommen habe (vgl. sein Immanuel Kant: Ontologie und Wissenschaftstheorie, 4. Aufl. Berlin 1969). Martins Appell stand mit Pate bei meinem Systematischen Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft, der in Kooperation mit Thomas M. Seebohm im Detail die Systemstellen der formalen Logik und materialanalytischen Begriffslogik in der kantischen Theorie der Kognition identifizerte. Ich konnte zeigen, dass ein erheblicher Teil der Kritik Husserls und Bolzanos tatsächlich auf Missverständnissen oder häufiger: auf mangelnder Kenntnis des kantischen Gesamtwerkes beruht.

Formalwissenschaftliche — philosophische — theologische Klassiker

Hier die Liste von vier Dutzend Werken, die als fundamental und / oder repräsentativ gelten können:

Platon: Der Staat (Politeia)

Aristoteles: Logische Schriften (Organon) Metaphysik Nikomachische Ethik Rhetorik

Cicero: Über den Redner (De oratore) Vom pflichtgemäßen Handeln (De officiis)

Athanasius: Gegen die Heiden & Über die Menschwerdung des Logos  (Contra gentes & De Incarnatione Verbi)

Ambrosius: Das Sechstagewerk (Exaemeron / Genesiskommentar) Ethik spiritueller Führungskräfte (De officiis ministrorum)

Augustinus: Der freie Wille (De libero arbitrio) Die wahre Religion (De vera religione) Bekenntnisse (Confessiones) Die christliche Bildung (De doctrina christiana) Über die Dreifaltigkeit Gottes (De Trinitate Dei) —  Über den Gottesstaat (De civitate Dei)

Cyrill von Alexandrien: Sieben Gespräche über die Heilige Dreifaltigkeit (De sancta Trinitate dialogi VII)

Thomas Aquinas: Theologische Summe (Summa Theologiae) Summe wider die Heiden (Summa contra gentiles) —  Erkenntnis- und Wahrheitstheorie (Quaestiones disputatae de veritate)

Tridentinum Concilium: Römischer Katechismus (Catechismus Romanus) (1566)

Petrus Canisius: De Maria Virgine incomparabili, et Dei Genetrice sacrosancta, 5 Bde., Ingolstadt 1577.

Johannes vom Kreuz: Geistlicher Gesang (1578)

R. Bellarmin: Disputationes de controversiis christianae fidei adversus hujus temporis haereticos, Ingolstadt 15861593 Dt.: V. P. Gumposch (Übersetzer): Disputationen über die Streitpunkte des christlichen Glaubens, Kulmbach 22012

F. Suarez: Disputationes metaphysicae, 2 Bde., Hildesheim 1965 [= Opera omnia XXV+XXVI, Paris 1866; 11597] De legibus ac Deo Legislatore, Paris 1856 [= Opera omnia V, 11612]

A. Salmerón: Commentarii in Evangelicam Historiam et in Acta Apostolorum. Commentarii in Epistulas Pauli Apostoli, XVI Bde., Köln 16021604

Franz von Sales: Traité de L‘amour divin (Theotimus) (1616)

G. W. Leibniz: Logische Schriften Nouveaux Essais sur l'entendement humain (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand)

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781) Kritik der praktischen Vernunft (1788) Kritik der Urteilskraft (1790)

Matthias Joseph Scheeben: Die Mysterien des Christentums. — Wesen, Bedeutung und Zusammenhang derselben, nach der in ihrem übernatürlichen Charakter gegebenen Perspektive dargestellt [Gesammelte Schriften II, 2. Aufl. Freiburg 1951,11865].

J. A. G. Hergenröther: Photius, Patriarch von Constantinopel: sein Leben, seine Schriften und das griechische Schisma, 3 Bde., Regensburg 18671869 Handbuch der allgemeinen Kirchengeschichte, 3 Bde., Freiburg 31885

E. Marmy (Hrsg.): Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau. Dokumente, Freiburg/Schweiz 1945

D. M. Gabbay / F. Guenthner (eds.): Handbook of Philosophical Logic, 4 vol., Dordrecht / Boston / London 19831989 [22001]

M. Dascal / D. Gerhardus et al. (Hrsg.): Sprachphilosophie / Philosophy of Language / La Philosophie du langage. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung [= HSK (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft) 7.1 und 7.2], Berlin / New York 1996

G. Radke [Uhlmann]: Die Theorie der Zahl im Platonimus Ein systematisches Lehrbuch, Tübingen / Basel 2003.

J. C. A. Boeyens / D. C. Levendis: Number Theory and the Periodicity of Matter, Springer Netherlands 2008.

T. Gowers / J. Barrow-Green (Hrsg.) The Princeton Companion to Mathematics, Princeton / Woodstock 32008.

D. Meschede (Hrsg.): Gerthsen Physik, Berlin / Heidelberg 252015

N. Birbaumer / R. F. Schmidt: Biologische Psychologie, Berlin / Heidelberg 72010

M. W. Eysenck / M. T. Keane: Cognitive Psychology, Hove / New York 72015

Der Nachsommer

Ich habe mich gefragt, ob und ggf. welche Werke aus der Literatur hier zu berücksichtigen sind. Schlussendlich würde ich nur ein literarisches Werk auf die Auswahlliste für die hypothetische Insel setzen:

A. Stifter: Der Nachsommer. (1857)

Dies trotz des im persönlichen Leben in manchem versagenden und wenig überzeugenden Verfassers. Denn das Buch wurde nicht von der Person Adalbert Stifter geschrieben, sondern von seinem moralischen und künstlerischen Gewissen und von seinem dichterischen Genius, wie man in anderen Epochen gesagt hätte. Was die individuelle literarische Leistungsfähigkeit Stifters angeht, so zeigen seine insgesamt 33 Novellen Art und Grad derselben. Sie ist weit überdurchschnittlich und nur mit Goethe zu vergleichen, wie heute im allgemeinen anerkannt wird: Er ist einer der „kühnsten und … packendsten Erzähler der Weltliteratur“ (Thomas Mann). Auch hinsichtlich Hochbegabung und interdisziplinärer Kompetenz steht der wie Goethe gelernte Jurist diesem nicht nach. Aber dennoch halten sich die Novellen-Erzählungen in den Grenzen des Zeitalters und spiegeln letztlich ein ähnliches Weltbild und Lebensgefühl wie das Erzählwerk Theodor Storms, Wilhelm Raabes, Victor Hugos oder Charles Dickens‘ mit dem für das 19. Jh. typischen Blues oder Einschlag von Schwermut. Sein Alterswerk Witiko ist hingegen experimentelle, je nach Betrachtung archaische oder futuristisch-minimalistische Literatur. Analog kündigen die späten Gemälde des auch professionellen Kunstmalers Stifter wie jene William Turners den Impressionismus an. 

Der Nachsommer ist anders. Dass man ihn formal und inhaltlich in vielem kritisieren kann, ist unbestreitbar. Nicht jeder ist auch für seine Lektüre gemacht. Die Schmäh und Abneigung der weltanschaulichen Gegner unter seinen Interpreten sind legendär. Eine eigene Ironie haben allerdings Angriffe mit sozialkritischer Motivation, wie der beliebte Vorwurf, Stifter verweigere sich der konkreten politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Lebenswelt der Gegenwart und Zukunft. Denn wenn es ein wirklich gewinnendes Plädoyer für ein auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit beruhendes Wirtschaftssystem gibt, dann den Nachsommer.

Speziell "die Architekten waren sich in den vergangenen hundert Jahren immer einig: [...] Stifters Nachsommer war und ist ihr Lieblingsbuch." (U. Bresan: Eine literarische Fiktion schreibt Architekturgeschichte. In: Archithese 2017) Alle berühmten Architekten und Bauschulen des 20. Jh. ließen sich vom Nachsommer inspirieren und legten ihn oft ausdrücklich ihren Reformprogrammen und Lehrveranstaltungen zu Grunde: Wiener Sezession, Werkbund mit Peter Behrens, Stuttgarter Schule unter Paul Schmitthenner und Paul Bonatz, einschließlich des Bauhauses mit Mies van der Rohe und Le Corbusier. Das in Stifters Roman im Mittelpunkt stehende Rosenhaus wurde "zur beherrschenden Idealarchitektur der beginnenden Moderne." (a.a.O.) Siehe ausführlicher: U. Bresan: Stifters Rosenhaus. Eine literarische Fiktion schreibt Architekturgeschichte, Leinfelden-Echterdingen 32017.

Wenn ferner ein Klassiker der Weltliteratur aus Überzeugung die modernen Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Geologie und Geographie in das Zentrum rückt, dann der Nachsommer. Alexander von Humboldt, ein Gründervater moderner Naturwissenschaft, ist eine Leitfigur der Titelhelden Freiherr von Risach und Heinrich Drendorf. Der junge Stifter war einer der gefragtesten Physik- und Mathematiklehrer Wiens. Und wenn ein Roman eine nachvollziehbare, konsistente Theorie der Gesellschaft hat, auf der Basis einer in vielen Epochen und Kulturen praxiserprobten Individual- und Sozialethik, dann der Nachsommer.

Unbeschadet der Kritikpunkte ist das in Rede stehende Buch für die Literaturkritik „der Bildungsroman schlechthin“, der wie kein anderes Buch die Seele Deutschlands transparent macht: „ein rührend-unheimlich deutsches Buch aus Österreich“. So der prominente Literaturwissenschaftler Walther Killy: Utopische Gegenwart. Stifter Der Nachsommer. In ders.: Romane des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1967, 83103. Und zwar auf einem Niveau, das den Stilperfektionisten Nietzsche gestehen lässt: Das ist „das einzige Buch nach Goethe, das für mich Zauber hat.“ Es verdient, „wieder und wieder gelesen zu werden“ (Menschliches, Allzumenschliches). Der Roman ist der Grund, weshalb Hermann Hesse den Verfasser im „Grundsätzlichen und tief Wesentlichen … modern, aufregend und vorbildlich" nennt. Hesse: Stifter „ist inmitten heutiger Stimmungen so fruchtbar, mahnend und klärend wie die Einkehr bei Tolstojs früheren Dichtungen oder den Gleichnissen des Dschuang Tse [Hauptwerk des Taoismus neben dem Tao Te Ching]."

Er ist das einzige Prosawerk der Weltliteratur, das nicht nur von Platon, Cicero, Plotin, Leibniz oder Kant hätte geschrieben werden können, sondern auch von spirituellen Lehrern und Leitfiguren wie Ambrosius, Augustinus, Aquinas, Johannes vom Kreuz oder Robert Bellarmin. Allenfalls Wolfram von Eschenbachs Parzifal und Balthasar Graciáns El Criticón könnte man sich hier noch als weitere Kandidaten vorstellen und nur vielleicht und mit Einschränkungen Alessandro Manzonis Die Verlobten (I Promessi Sposi) und das Oeuvre Barbey d’Aurevillys, Bloys, Tolstois, Dostojewskis, Dickens', Bernanos', Undsets, le Forts, Bergengruens, C. S. Lewis' und Tolkiens. Der Nachsommer ist das Modell eines Sozialsystems, das das Axiom und die Zielsetzung der Ignatianischen Exerzitien (und der Methodenlehre der kantischen Kritik der praktischen Vernunft) verinnerlicht, „sein Leben zu ordnen, ohne sich von einer Regung, die ungeordnet wäre, bestimmen zu lassen.“ Oder wie Charles Péguy formuliert: "Ordnung und Ordnung allein führt zur Freiheit. Unordnung schafft Knechtschaft." (Cahiers de la Quinzaine) Stifter übermittelt das Manuskript 1856 an den Freund und Verleger Heckenast in Budapest mit den Worten: "Ich habe wahrscheinlich das Werk der Schlechtigkeit willen gemacht, die im Allgemeinen mit einigen Ausnahmen in den Staatsverhältnissen der Welt in dem sittlichen Leben derselben und in der Dichtkunst herrscht. Ich habe eine große, einfache sittliche Kraft der elenden Verkommenheit gegenüberstellen wollen [...] Ich habe ein tieferes und reicheres Leben, als es gewöhnlich vorkömmt, in dem Werke zeichnen wollen und zwar in seiner Vollendung."

Man würde das Werk zwar sehr überschätzen, wenn man den Nachsommer als einen Roman der Weltliteratur ansähe Versepen wie Dantes Göttliche Komödie oder Dramen wie Calderons Schauspiele also ausgenommen , der im Prinzip von einem biblischen Propheten, von Ezechiel oder Malachias, hätte geschrieben werden können oder von einem der neutestamentlichen Autoren. Dennoch gilt von ihm: „Selten ist ein Buch so sehr und absichtsvoll gegen den Strich der Zeit geschrieben worden.“ (Killy) Und zwar aus innerster Vertrautheit mit und inspiriert von Geist und Leben des prophetischen Theismus. Es ist im Kern eine Visualisierung des paulinischen Hohenliedes der Liebe in 1 Korinther 13. Es ist eine literarische Verdichtung der Stadt Gottes, des neuen Paradieses, das in der messianischen Zivilisation vom Himmel auf die Erde herabkommt und zwar zuerst und vorrangig im Lebensstil der geistgesalbten Gottessöhne und -töchter anhand der Tugendkataloge der biblischen Weisheitsschriften und Apostelbriefe: „Der Nachsommer erzählt von einer Welt, die nicht von dieser Welt ist, und er tut es keineswegs mit der fabulierenden Naivetät des Märchens, sondern er hat … erzieherische Absichten. Bei Goethe war die pädagogische Provinz [Ideales ganzheitliches Erziehungsmodell und Eliteschule in Wilhelm Meisters Wanderjahre] in der Welt gelegen; bei Stifter wurde die Welt zur pädagogischen Provinz.“ (Killy) Allerdings zeigen das spirituelle Leben, das theologische Profil und die Glaubenskraft der handelnden Personen ebenfalls die Charakteristik eines Nachsommers durch josephinischen Rationalismus ausgedünnt, verhalten, bewahrend, wartend auf eine neue schöpferische Ära.

Der Hochsommer

Wer die strahlende Helle sowie die grenzenlose schöpferische Kraft des dem Nachsommer vorausgehenden Hochsommers kennenlernen will, kann dies bei Jacob Balde (16041668) tun, dessen "unglaubliche, immer eigenständige Kreativität in der deutschen Literatur wohl nur noch bei Goethe ihr Vergleichbares findet." (Wilfried Stroh). Der Großteil seines Werkes ist in der Bildungssprache Nr 1 Latein verfasst. Balde galt schon den Zeitgenossen als europaweit erstrangiger neulateinischer Dichter und v.a. Lyriker und Satiriker, auf Augenhöhe mit den römischen Klassikern Vergil, Horaz, Ovid. Papst Alexander VII, der französische Sonnenkönig Ludwig XIV, der Adel und das Bürgertum der Reichsstädte, Professoren und Studenten lasen ihn konfessionsübergreifend mit Begeisterung. Manche halten ihn für den besten und produktivsten lateinischen Lyriker der Geschichte überhaupt: "1643 erscheint in München ein lyrisches Großcorpus, wie es die Welt in lateinischer Sprache noch nicht gesehen hatte: In vier Büchern 'Lyrica', einem Buch 'Epodi' und sieben (später auf neun erweiterten) Büchern 'Sylvae' („Wäldern“) stellte er in den Maßen und Formen des Klassikers Horaz die Empfindungen und Probleme seines aufgewühlten Zeitalters so umfassend und vollendet dar, dass ihm von nun an der Beifall auch aller Gebildeten in Europa sicher war. Von den Themenbereichen, die Horaz einst berührt hatte Politik, Freundschaft, Religion, Literatur, Lebensweisheit und Geselligkeit fehlt ... nur die Erotik, die aber wunderbar aufgehoben und sublimiert ist in Baldes Marienlyrik, die immer als ein Höhepunkt seines Schaffens angesehen wurde." (Wilfried Stroh)

Johann Gottfried Herder hat 1795/96 unter dem Titel Terpsichore große Teile seines Werkes übersetzt bzw. nachgedichtet und ihn so für die Moderne präsent gemacht. Herder war überzeugt: Durch "den Reichthum eigenthümlicher Wendungen und geniale Composition" behauptet Balde "den Vorrang vor Horaz" und ist mehr als andere ein "Dichter Deutschlands für alle Zeiten." Schiller und Goethe bewunderten ihn und Letzterer ließ sich von ihm auch für die eigene Produktion inspirieren, namentlich für die Schlusszene des Faust. Balde war Mitglied der Gesellschaft Jesu und Professor der Rhetorik an bayrischen Gymnasien und Hochschulen. Auch in rhetorischer Hinsicht galt er als erste Autorität. Man sagte, in ihm sei Quintilian wiedererstanden. In den dramatischen Jahren des Dreißigjährigen Krieges war es nicht zuletzt Balde, der durch seine tagesaktuellen Oden und Epen aber auch als spiritueller Berater des führenden Staatsmannes der Epoche, Kurfürst Maximilian I, und als Prinzenerzieher dazu beitrug, München zur Denkfabrik und zum Aktionszentrum des weltgeschichtlichen Ringens zu machen.

Die letzte Schaffensphase Baldes 16541668 ist in Neuburg an der Donau, Regierungssitz des wittelsbacher Pfalzgrafen und Herzogs Philipp Wilhelm, der der politische Moderator des Rheinlandes (Jülich und Berg), der Rheinpfalz und von Pfalz-Neuburg ist. Balde ist der geistliche Mentor des herausragenden Staatsmannes, seiner Gemahlin Elisabeth von Hessen-Darmstadt und seiner Minister, Räte und Angestellten. Und er ist der heißgeliebte Berater und Freund der insgesamt 14 Prinzen und Prinzessinnen, die europaweit als besterzogene, überdurchschnittlich liebenswürdige und gebildete junge Elite galten, "dass man so eine Erziehung und solche Kinder an keinem Hofe von Europa finde" (Frobenius von Fürstenberg, kaiserlicher Gesandter 1671). Die Portraits der Söhne bestätigen dies durch die selbstbeherrschte Zucht und das ungewöhnlich kühne, strahlende Selbstbewusstsein der jungen Männer.

Der englische König Jakob II wirbt ohne Erfolg um die erstgeborene Prinzessin Eleonore Magdalena, welche 1676 als Gattin von Kaiser Leopold I, Königin Deutschlands, Ungarns und Böhmens wird sowie Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches. Kaiserin Eleonora MagdalenaBeide sind sehr spirituelle, hochgebildete Menschen und das menschliche wie moralische Traumpaar der Epoche. Eleonore dichtet, komponiert, malt, musiziert, tanzt auf professionellem Niveau, beherrscht fließend Latein, Französisch und Italienisch und lebt, soweit ihre Pflichten es zulassen, das kontemplative, aszetische Leben einer Karmelitin. Mit Leopold I bildet sie bald das ebenso kraftvolle wie bezaubernde Gravitationszentrum der messianischen Zivilisation. Sie führen diese Zivilisation zu einer neuen Hochblüte, die Weltgeschichte macht. Zur Geburt Eleonores hatte Balde ein deswegen besonders berühmtes Glückwunschgedicht Eleonorae geniale carmen in Hexametern verfasst, weil es ihre zukünftige Lebensbahn als kaiserliche Braut prophetisch voraussagte. Herzog Philipp Wilhelm und seine Gattin formten Gottesfurcht und Ehrfurcht, Strenge und Güte, Disziplin und Persönlichkeitsentfaltung vereinend mit gleichem Erfolg die Exzellenz des Erbprinzen, des bis heute in Düsseldorf legendären Kurfürsten Jan Wellem, und der anderen Geschwister. Sie stellen später die wichtigsten Metropoliten (Erzbischöfe) Deutschlands sowie die Königinnen von Spanien, Portugal, Polen und Litauen. Neben den Hofmeistern/innen und sonstigen Dozenten und Pädagogen aus der Gesellschaft Jesu war Jacob Balde für sie das prägende Bildungserlebnis. [Bild oben, ca. 1690, unbekannter Meister: Kaiserin Eleonore 16551720, mit der ottonischen Reichskrone und dem vom Kreuz Christi überhöhten Globus (Reichsapfel), dem Symbol der neuen idealen Ära der messianischen Zivilisation des neutestamentlichen Israel Gottes].

Zukunftsforderungen

Aus den im folgenden Abschnitt 'Geschichte der Theologie' genannten Gründen vermissen wir im Denk- und Lebensraum der Weltkirche und messianischen Zivilisation aktuelle Bearbeitungen der theologischen Disziplinen, die Rechtgläubigkeit (Orthodoxie), Glaubensgeist (Geisterfülltheit, Salbung des Geistes) und wissenschaftliche Exzellenz in überzeugender Weise verbinden. Das einzige Feld, auf dem zur Zeit historisch-philologisch auf hohem Niveau und mit dauerhaft gültigen Ergebnissen gearbeitet wird, sind Ausgaben der Kirchenväter und deren lexikalische Erfassung (wie z.B. das Augustinus-Lexikon). Hier bestehen sogar mehrere gleichzeitige Editionen erstrangiger Akademien oder Forschungseinrichtungen. Die Fehlanzeigen betreffen neben Bibelausgaben und -kommentaren v.a. zusammenfassende und orientierende Handbuchliteratur.

In ersterer Hinsicht ist das dringendste Desiderat eine kommentierte Studien- und Arbeitsbibel im Stil der früheren einbändigen Gesamtausgabe des Studienzentrums der französischen Dominikaner in Jerusalem (Jerusalemer Bibel) unter den genannten drei Kriterien Rechtgläubigkeit, Glaubensgeist und wissenschaftliche Exzellenz. Die letzte Ausgabe der Jerusalemer Bibel erfüllte übrigens diese Kriterien nicht in der erforderlichen Weise, und auch die erste Ausgabe nur mit erheblichen Einschränkungen. Voraussetzung und Ergänzung dieses Projektes ist ein vollständiger mehrbändiger Bibelkommentar, der die Schriftauslegungen der Kirchenväter und die unüberholten Leistungen der großen Exegeten des 16/17. Jh. durchgängig berücksichtigt. Der ferner literaturtheoretisch, orientalistisch und klassisch-philologisch auf der Höhe der Zeit ist. Die zur Zeit vorliegenden Kommentarwerke erfüllen diese Bedingungen wiederum nicht in der erforderlichen Weise, wie unsere religionsphilosophischen Analysen zum Alten und Neuen Testament an sehr vielen Stellen offenlegen.

Ein weiteres Desiderat ist ein o.g. Kriterien verpflichtetes Handbuch zur Kirchengeschichte aber auch ein solches zur Weltgeschichte. Entsprechendes gilt für die Fächer der systematischen Theologie: Fundamentaltheologie, Dogmatik und Moraltheologie. Angesichts des epochalen zeitgenössischen Ritenstreites ist ein aktuelles, umfassendes Handbuch der Liturgik auf Grundlage der Orthodoxie und Tradition ebenfalls und vorrangig wünschenswert. Die z.T. drastischen Eingriffe des sog. nachkonziliaren Kirchenrechtes in den Traditionsbestand legen es nahe, wie im Mittelalter hier die Lage durch private oder halboffizielle Initiative von Experten (Kanonisten) zu sortieren: Aus solcher akademischer Vorarbeit in den sog. Dekretalensammlungen und -kommentaren entstand damals ein konsistenter und akzeptierter Kodex des Kirchenrechtes (und übrigens, von Bologna ausgehend, auch die Institution der Universität).

Last but not least sollte dem im Gefolge des Konzils von Trient herausgegebenen Römischen Katechismus (Catechismus Romanus) mit einem aktualisierenden Kommentar neue Geltung verschafft werden. Es ist nicht falsch zu sagen, dass er das ausführlichste autoritative Glaubensbekenntnis des Christentums bzw. offizielle Symbolum der Dogmengeschichte ist. Und dass er infolge der durchgängigen Begründung der Aussagen aus einschlägigen Schrift-, Väter- und Konzilstexten und deren systematische Einordnung zugleich wie beabsichtigt eine kompakte Summe der Theologie für Presbyter und Gläubige ist. Eine Summe, die sachliche Prägnanz mit sprachlicher Eleganz verschmilzt und deren Überzeugungskraft über Jahrhunderte weltweit, auf allen Kontinenten und in den unterschiedlichsten Kulturen, dokumentiert ist.

Geschichte der Theologie

Experten und Dilettanten

Angesichts der letztgenannten Anmerkungen scheint ein professioneller Überblick über die Geschichte der Theologie und insbesondere ihre erstrangigigen und klassischen Vertreter nützlich. Dass es sinnvoll ist, sich mit den Klassikern zu beschäftigen und zwar sinnvoller als mit Autoren des 19./20 Jh., dazu folgende Erinnerung. Der Kantforscher und langjährige Mitherausgeber der Kant-Studien Joachim Kopper (19252013) war über Jahrzehnte eine prägende Gestalt im Fach Philosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und an der Université de Bourgogne in Dijon. Im Wintersemester 1992/93 hielt er ein Hauptseminar zu John Lockes Essay concerning Human Unterstanding. Es blieb mir vor allem wegen eines engagierten, ja zornigen Exkurses in Erinnerung. Dieser betraf die Qualität der universitären Bildung vor und nach dem großen Traditionsbruch in der Säkularisation und zuvor schon im Protestantismus (Kopper war selbst meines Wissens Protestant). Nachdem er an einigen Beispielen Lockes Erkenntnistheorie als verschwommen und widersprüchlich dargestellt hatte, sagte er:

„Was sich hier zeigt, ist ein Symptom für die allgemeine Lage. Was wir hier machen, ist Stümperei. Wir sind alle Dilettanten. Wir beschäftigen uns ein paar Semester einige Stunden die Woche mit einigen Texten zu verschiedenen philosophischen Disziplinen – oberflächlich und ohne Zusammenhang. Und nennen uns dann Experten. Das ist doch lächerlich. Wenn wir wirklich Experten sehen wollen, und ein professionelles akademisches Bildungssystem, müssen wir zu den Scholastikern und wissenschaftlich orientierten Orden des Mittelalters und der frühen Neuzeit gehen. Diese Leute haben sich in exklusiver Konzentration auf die Wissenschaft während Jahren in den Artes Liberales universell gebildet und sich dann wieder viele Jahre exklusiv Tag für Tag in Studium und Disputation in ihrem Spezialgebiet ausgebildet. Das Ganze unterstützt durch konsequente Aszese und spirituelle Sammlung. Was sie dann zu sagen hatten, hatte Gewicht. Das waren wirkliche Experten.“

Koppers meistgeschätzter Denker war übrigens Bernhard von Clairvaux, der Verfechter eines gleichermaßen Kopf und Herz formenden Bildungsprogramms.

Wissenschaftskultur der messianischen Ära

Nun, wenn wir Koppers Forderung Ernst nehmen und ihr nachkommen wollen, gibt es wahrscheinlich keinen besseren Leitfaden als den Kölner Theologen Matthias Joseph Scheeben (18351888). Es wurde bereits anderenorts gesagt: Nicht wenige halten ihn für einen der bedeutendsten Theologen der Moderne. Seine in Rom erworbene souveräne Kenntnis der griechischen und lateinischen Väter des ersten christlichen Jahrtausends und sowie der Scholastik des zweiten Jahrtausends ist legendär. Man hat öfters angemerkt, dass Scheebens Sozialisation, Antrieb und spekulative Kraft ansonsten dem Deutschen Idealismus und der Romantik nahestehen. Scheeben hat seiner Theologischen Erkenntnislehre [Dogmatik I, Freiburg 21948, 447489] eine als klassisch geltende Geschichte der Theologie beigegeben, die mehrfach übersetzt wurde.

Er hebt drei Glanzperioden der philosophischen, juristischen und theologischen Wissenschaftskultur der Ära des Christentums hervor: in der Antike das 4./5. Jh., im Mittelalter das 12./13. Jh. und in der Neuzeit das 16./17. Jh. An ihnen kann so Scheeben die epochenübergreifende spirituelle und intellektuelle Ausnahmestellung der messianischen Zivilisation besonders gut abgelesen werden. Es gibt in der Geschichte der Menschheit auch nach meinem Kenntnisstand keine wirklich vergleichbaren Leistungen. Sie deklassieren nach Quantität und Qualität alles, was sich im Alten Orient und in der griechisch-römischen vorchristlichen Antike findet, und bei weitem die wissenschaftliche Produktion Indiens und Chinas.

Die Kirchenväter: Klassische Exzellenz

Die Veröffentlichungen der Kirchenväter namentlich des 4./5. Jh. sind sachlich und sprachlich der Maßstab für alle kommenden Generationen. Auch umfangmäßig überholen die Schriften der Kirchenväter alles andere Kulturgut, was weltweit aus der Antike zu uns gekommen ist. Die bis heute maßgebliche Referenzedition der Väter von J. P. Migne zählt in der Series latina (18441849: Lateinische Väter) 73 große Quartbände eigentliche Kirchenväter bis Gregor den Großen (540604 n. C.) sowie weitere 144 Bände bis zu Innozenz III. (11601216 n. C.). Die parallele Series graeca (18571866: Griechische Väter bis zum Ende des Oströmischen Reiches im 15. Jh.) zählt 161 Quartbände.

Insbesondere kann der bedeutendste Kirchenvater Aurelius Augustinus (354430 n. C.) zugleich als der intellektuelle Übervater der Wissenschaftskultur der Menschheit überhaupt angesprochen werden. Seine wissenschaftsphilosophische Evaluation der Formalwissenschaften Logik, Mathematik, Dialektik und Hermeneutik sowie der Ethik, Ästhetik und Musik ist klassisch par excellence und damit überzeitlich aktuell. Das gilt sowohl hinsichtlich methodischer Gründlichkeit wie hinsichtlich sachlicher Umfassendheit und sprachlicher Ausdruckskraft. Seine Erkenntnistheorie und Philosophie des Geistes sind bewusst oder stillschweigend die Matrix für alle weiteren Bearbeiter des Stoffes bis heute. Dasselbe gilt für seine ebenso kreativen wie umfangreichen Bearbeitungen der historischen wie systematischen und praktischen Theologie. Das ist umso bemerkenswerter als er aus einem radikalen Skeptizismus kommend alles selbstständig, extrem kritisch, und damit schöpferisch durchdenkt: von den ultimativen Denkprinzipien bis zu den elementaren Daten der inneren und äußeren Wahrnehmung. Er erschafft ein belastbares Weltbild der Zukunft, das auch für unsere Generation Maßstab und Aufgabe des Denkens ist.

Augustinus' väterlicher Mentor war der erste der vier großen westlichen Kirchenlehrer, der aus altem römischen Geschlecht stammende und in Trier geborene Bischof und Metropolit Ambrosius von Mailand (333397 n.C.). Dessen gewinnende Persönlichkeit, mystische Tiefe und Sach- und Sprachkompetenz überzeugte Augustinus von der geistigen, sozialen und moralischen Exzellenz der messianischen Zivilsation. Ambrosius von MailandEr bat ihn um die Initiation in dieselbe im Taufritus. Ambrosius, Sohn des römischen Regierungspräsidenten Südgalliens, war ursprünglich Regierungspräsident Norditaliens und zuvor römischer Konsul und damit führender Staatsmann der einzigen Supermacht des Planeten. Er ist auch nach seiner charismatischen, basisdemokratischen Wahl zum Erzbischof von Mailand der unbestechliche Berater und Freund der Regierungschefs der römischen Weltmacht Gratian, Valentinian II und Theodosius des Großen. In dramatischen Kämpfen mit häretischen und cäsaropapistischen Regierungskabinetten wird er zugleich zum weltgeschichtlichen Begründer der Autonomie und moralischen Autorität der Kirche gegenüber staatlicher Macht. [Bild rechts: St. Ambrosius, portraitechtes Mosaik des 4. Jh. in Sant Ambrogio, Mailand]

Er leistet auch in theoretischer Hinsicht die Integration der rechtlichen und politischen Exzellenz Roms in die neue messianische Ära: Seine Ethik für Führungskräfte De officiis ist eine Rezeption von Ciceros einflussreicher gleichnamiger Ethik. Sie wird dabei fortlaufend mit der Ethik der Hl. Schrift abgeglichen und eingeordnet. Stilistisch ist Ambrosius auf Augenhöhe der Klassiker Vergil und Tacitus. Viele halten ihn für den in manchen Hinsichten besten Lateiner überhaupt, so in der Hymnendichtung. Abgesehen von den Psalmen wird kein Lyriker der Menschheitsgeschichte im Rahmen des Chorgesanges und Strundengebetes so nachhaltig und regelmäßig rezitiert und gesungen wie Ambrosius, und zwar in allen Kulturen und in allen Epochen. St. Ambrosius kann daher angesprochen werden als theoretische wie praktische Leitfigur der rechtlichen, moralischen und spirituellen Zivilisation der Menschheit der messianischen Ära.

In seiner Bibelhermeneutik u.a. ist sein Genesiskommentar die erste systematische Kosmologie des prophetischen Theismus rezipiert Ambrosius darüber hinaus auch die maßgeblichen religionsphilosophischen und universalwissenschaftlichen Autoritäten Philo von Alexandrien und Origenes sowie die erstrangigen Kirchenväter des Ostens Basilius und Athanasius. Er ist "höchst wirkmächtiger Gestalter einer, wenn nicht der Urform lateinischer Theologie und Frömmigkeit" mit einer "schwerlich zu überschätzenden Bedeutung als lateinischer Vermittler einer neuplatonisch erläuterten biblischen Wirklichkeitsinterpretation [...] In ihr verbinden sich theologische Fachkenntnis mit ... persönlicher Begabung, Sicherheit und Virtuosität in der Handhabung des Genres öffentlicher Rede und schließlich einem hohen Maß an reflektierter Übernahme des spätantiken Wissens und der dieses Wissen tragenden Kultur."(Bibelwissenschaft.de, Stichwort Ambrosius)

Seine universelle philosophische, juristische und theologische Bildung profilierte Ambrosius zu dem Mann, der schon bei den Zeitgenossen als der endgültige theologische und kulturpolitische Überwinder der heidnischen römischen Religion und Senatorenpartei galt. Und zugleich formte sie ihn zu der geschichtlichen Persönlichkeit, welche in zähem Kampf, unter wiederholter Lebensgefahr, die ebenso fundamentale wie dominante Häresie des Arianismus im Westen niederrang (wie auch anmaßende jüdische Manipulationen im Osten zum Scheitern brachte). Für Biographen und Historiker gipfelt in Ambrosius mental wie genetisch jahrtausendelange römische Manneszucht und Ehrfurcht, Welt- und Menschenkenntnis, Staatsklugheit, Ausgewogenheit und Taktgefühl. Die finale Adelung seines Geschlechtes erfolgte im durch mehrere Martyrien besiegelten Aufstieg zu Geist und Leben der prophetischen Offenbarungsreligion. Sein Leben und Werk ist der Prägestempel für die Bischöfe und Presbyter der römischen Kirche der Zukunft.

Eine ähnlich epochale Stellung wie Augustinus und Ambrosius hat im östlichen, hellenistischen Kulturkreis der in der Wissenschaftsmetropole Alexandrien universell gebildete Patriarch und Kirchenvater Cyrill von Alexandrien (ca. 375444 n. C.). Dessen Bedeutung zum Bewusstsein zu bringen, ist ein besonderes Anliegen Scheebens. Wir müssen uns darüber Rechenschaft geben, sagt Scheeben, dass wir in Cyrill hinsichtlich spiritueller Tiefe, systematischer Kraft und Umfang des Lebenswerkes einen Theologen im Range Thomas von Aquins vor uns haben, der Intention und Methode der Scholastik um 750 Jahre vorwegnimmt.  

Die Hochscholastik: Große Vereinheitlichung

Die zweite Glanzperiode, die Hochscholastik des 12./13. Jh., systematisiert das ebenso ungeheure wie anspruchsvolle Denkuniversum der spirituellen und intellektuellen Väter. Ihre spezifische kreative Leistung ist logische Diskussion und Zusammenfassung in Großen Vereinheitlichten Theorien (Summen), die bis heute klasssiche Referenztexte sind. Die arabische Scholastik des 9. bis 11./12. Jh. blieb dagegen eine kurze und dann vom Islam für immer geächtete Episode, deren Träger mehrheitlich im arabischen Machtbereich lebende syrische und griechische Gelehrte christlicher Herkunft waren. Sonstige potentielle Mitbewerber in anderen Epochen und Kulturen gibt es nicht. Der Pionier der interkulturellen Philosophiegeschichtsschreibung Kurt Schilling (Weltgeschichte der Philosophie, Berlin 22006) machte hierzu eine doppelte aufschlussreiche Beobachtung, wie mir seine Lektorin einmal mitteilte. Einmal die, dass bis zur Mitte des 20. Jh. die philosophischen und theologischen Systeme Indiens und des Fernen Ostens praktisch nur historisch-philologisch und nicht systematisch aufgearbeitet worden waren. Das hat auch H.-G. Gadamer mehrfach angemerkt. Hier sah er eine wichtige Herausforderung für sich. Aber er realisierte dies die zweite Beobachtung , dass die philosophisch-theologischen Produktionen des Ostens letztlich systematisch keinen Vergleich mit der Exzellenz der griechisch-römisch-germanischen Zivilisation aushalten.

Der Zenit der Theologie: 15701660

Scheeben akzentuiert besonders die Epoche von 1570 bis 1660 als eine „Blütezeit …, welche an Reichtum und Mannigfaltigkeit der Leistungen in der Kirchengeschichte nicht ihresgleichen hat“ (Scheeben 1948, 474). Das innovative Laboratorium hierfür war die Gesellschaft Jesu, die „das gelehrte Schriftstudium zur höchsten Vollkommenheit“ entwickelte (ebd. 475): „Den Reigen der großen Exegeten eröffnet Alfonso Salmerón S.J. (15151585) mit seiner riesenhaften Arbeit über das NT (15 Bde. Fol.)“ (ebd.) Sein systematisch und historisch arbeitender Ordenskollege Robert Bellarmin (15421621) war europaweit ein so singuläres Gravitationszentrum, dass man sich in protestantischen Ländern nicht anders zu helfen wusste, als die Lektüre seiner Schriften zu verbieten und eigene Lehrstühle gegen ihn einzurichten. Er ist auch der virtuelle Hauptgesprächspartner bzw. Gegner für Thomas Hobbes. Sein Weltruhm verdankt sich besonders den Disputationes de rebus fidei in hoc tempore controversi. Sie sind nach Umfang und Tiefgang bis heute der Standard zur Evaluation des Protestantismus.

Gregor von Valencia (15501603), ein weiterer Ordenskollege der oben Genannten begründet das außerordentliche, weltweite Prestige der Universität Ingolstadt (heute: LMU München) durch klassische Monographien und die Kommentierung der Summa theologiae Thomas von Aquins. Er ist ein Vordenker der modernen, (i) biblische Exegese, (ii) historische patristische Evaluation und (iii) logische Analyse und Synthese integrierenden Theologie in (iv) klassischem sprachlichem Gewand. In der nächsten Generation stabilisiert Adam Tanner (15721632) dieses Niveau mit der Theologia scholastica, einem „Werk ersten Ranges“ (Scheeben). Thomas Stapleton (15351598) leistete Vergleichbares an der Universität Löwen und legte die die bis heute gründlichste Analyse des Glaubens und der Rechtfertigung vor. Scheeben: „Die spekulative systematische Theologie“ nahm neben der Exegese und Geschichte einen „eben so großartigen Aufschwung“, daß die Leistungen dieser Epoche „an Mannigfaltigkeit, Allseitigkeit und Umfang“ die des 13. Jh. „übertreffen“ (477). Wir beobachten auch in der Handlungstheorie, Ethik und Moraltheologie eine „ungeheure geistige Kraft und Energie, welche besonders die erste Hälfte unserer Epoche auszeichnet“ (477).

Odysseus' Schlusswort in Wolfgang Petersens Troja, einem theologisch und moralisch ansonsten zwiespältigen Film, ist geeignet, in leichter Abwandlung auch das Lebensgefühl jener zu treffen, die in Studium und Meditation Zeugen o.g. Heroen des Geistes bzw. ihrer Werke und Kämpfe sind: „Erzählt man jemals meine Geschichte soll man sagen, ich ging meinen Weg mit Giganten. Menschen vergehen wie des Winters Weizen, doch diese Namen vergehen nie! Man soll sagen, ich lebte zu Zeiten des Messias, in der Zivilisation der Exzellenz. Man soll sagen, ich lebte zu Zeiten seiner Propheten, Weisen und Schriftgelehrten.“

Salbung des Geistes

Dazu kommt eine Beobachtung und Tatsache, die bei Scheeben nicht eigens herausgestellt ist: Theologische Werke und sonstige spirituelle Schriften vor ca. 1800 atmen im Allgemeinen einen Geist, der belebt und stärkt, aufbaut und ins Weite führt. Sie haben das, was die Tradition Salbung des Geistes genannt hat. Oder was in den Paulusbriefen als Worte von Geist und Leben bezeichnet wird. In den theologischen Buchproduktionen des 19./20. Jh. ist nur noch in der ersten Hälfte des 19. Jh. ein Nachglanz dieser suaviter ac fortiter, zugleich süß und stark einwirkenden Aura da, danach nicht mehr. Sie wirken selbst im Falle völliger theologischer Korrektheit wie kalte Stahlstiche, während die Produktionen der Tradition als beseelte Ikonen zu uns sprechen. Die Theologie spiegelt hier teils verschuldet teils schicksalshaft den apostatischen Zeitgeist.

Eine jüngste Beobachtung in dieser Perspektive: Um mir noch einmal die theologische Tradition insgesamt zu vergegenwärtigen, habe ich 2017/2018 die 12 umfangreichen Bände (plus Registerband) von Wetzer und Welte's Kirchenlexikon. Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften, vorgenommen und fortlaufend gelesen (Freiburg / Straßburg / München / Wien / St Louis 218821903). Das Lexikon ist das gegenüber früheren und späteren Bearbeitungen umfangreichste und gründlichste deutschsprachige Unternehmen zu diesem Zweck vor dem Traditionsbruch im Gefolge des II. Vatikanischen Konzils. Die gesamte theologische Elite des 19. und beginnenden 20. Jh. arbeitete daran mit. Es ist nun ein Doppeltes, was bei der Beschäftigung damit spontan ins Bewusstsein drängt: Einmal die enorme formale Gelehrsamkeit und Korrektheit in der allseitigen Darstellung des anspruchsvollsten geistigen Universums, das die Menschheit kennt.

Der zweite sich aufdrängende Eindruck ist aber, dass die Salbung des Geistes durchgängig fehlt. Und ineins damit hat man das Empfinden, dass der singuläre Bau dieses theologischen Universums von einem Epigonengeschlecht beschrieben wird, das darin wohnt und es verwaltet, das auch daran glaubt, aber im Tiefsten keine lebendige Beziehung mehr zu der ursprünglichen Gotteserfahrung hat, welche den Bau veranlasste. Ein Geschlecht, das mindestens in diesen wissenschaftlichen Produktionen den unaussprechlichen Zauber der Früchte des Heiligen Geistes vermissen lässt. Man kann den Verdacht nicht beseitigen, dass trotz auch vorhandener affektiver Einstellungen, also des Ausdruckes von Gefühlen der Bewunderung, Dankbarkeit, Treue usw. die Inhalte dieses theologischen Universums oft nicht aus persönlicher Einsicht verinnerlicht erscheinen als zwingende, alle Alternativen ausschließende kognitive Evidenz. Dass die Autoren und ihr Zielpublikum dieses Universum auch nicht aus eigener Erfahrung als alternativlose Sphäre ultimativen ganzheitlichen Glückes zu erleben scheinen, einschließlich der damit zwanglos gegebenen gelassenen Selbstsicherheit sowie eines strahlenden Selbstbewusstseins, für das Kompromisse lächerlich sind.

Dass wir hier also und schließlich sterile Epigonen oder Nachgeborene vor uns haben, die kein Potential aufweisen, dieses Universum schöpferisch in ihrer Generation zu aktualisieren und aufleben zu lassen. Von diesem phänomenologischen Gesamteindruck her überrascht nicht, dass praktisch zeitgleich der theologische Liberalismus und Modernismus zu einem so empfindlichen Problem wird, dass Pius X.von 1903 bis 1914 seine gesamte Autorität gegen diese innere Erosion des Glaubensgeistes aufbietet. 

Sonnenfinsternis

Der meistdiskutierte Kunsthistoriker der Moderne, Hans Sedlmayr, hat in diesem Zusammenhang in dem Aufsatz 'Der Tod des Lichtes' Adalbert Stifters Schilderung der Phasen einer totalen Sonnenfinsternis am 08.07.1842 aufgegriffen, "die auch sprachlich zu dem Bedeutungsvollsten ... der deutschen Prosa" gehört. "Weil die Verfinsterung der äußeren und der inneren Sonne ähnliches bewirkt und weil die Kunst [und Literatur] ... Spiegel solcher inneren Ereignisse ist" (s.u., a.a.O. 1314), verwendet er Stifters Schilderung als Allegorie der "Verfinsterung des Geistes und der Herzen" in den aufeinander folgenden Phasen des gesellschaftlichen Bewusstseins seit ca. 1760 bis heute. Also seit der Apostasie des Westens von der messianischen Zivilisation und ihrer geistigen, metaphysischen Sonne: Gott. Von dieser Apostasie sagte Gregor XVI in dem Rundschreiben Mirari vos 1832 die klassisch gewordenen Worte: „‚Jetzt ist die Stunde für die Mächte der Finsternis, um die Kinder der Auserwählung zu sieben wie den Weizen‘ (Lukas 22, 53). ‚Wahrlich, es trauerte die Erde, und sie zerfloß in Tränen ... geschändet von ihren Bewohnern, da sie die Gesetze überschritten, das Recht beugten, das ewige Bündnis zerbrachen.‘ (Jesaja 24, 5)“

Stifter und Sedlmayr unterscheiden auf der natürlichen resp. symbolischen Ebene drei Phasen: (I) Ersterben des natürlichen und kulturellen Kosmos (II) Apokalyptische Hyperaktivität eines surrealen Chaos (III) Wiederkehr des Lichtes und des Kosmos. Kennzeichnende Züge der dem Rationalismus, Klassizismus, Biedermeier und Historismus des 18./19. Jh. entsprechenden Phase I sind: (i) "Fremdwerden der vertrauten Welt" (ii) "Verblassen und sich Entfärben" (iii) "Die Welt wird starr und schwer" (iv) "Seltsame Ruhe" (v) "Seltsame Leere" (vi) "Trauer und Totenstille". Die dem Expressionismus, Surrealismus und den antichristlichen Eruptionen und Weltuntergangsszenarios des 20. Jh. entsprechende Phase II hat diese Züge: (i) "Furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung" (ii) "Furchtbare Gewalt der Farben" (iii) "Das zugleich Zauberhafte und Furchtbare des Glanzes" (iv) "Der Mensch aber wird zum Gespenst" (v) "Heftigste innere Bewegungen" in der Perspektive des Jüngsten Tages, des Dies irae. Der Aufsatz Sedlmayrs wurde oft gedruckt, u.a. in Der Tod des Lichtes, Salzburg 1964, 917. Wer will, kann bekanntlich auch Nietzsche oder Dostojewski als Kronzeugen für diese Sicht der Zusammenhänge anführen. 

Die in Folge eingefügte PDF-Datei gibt eine Skizze der Übersicht Scheebens, die wir abgesehen von kurzen Seitenblicken durch diese drei Exkurse ergänzen: (I) Ideen- und realgeschichtlicher Hintergrund der Theologischen Hochschule Alexandrien (II) Klassische Zivilisation der Exzellenz (III) Theologen als Moderatoren der Modernisierung und Dynamisierung Chinas und Amerikas.

Scheeben: Geschichte der Theologie

Vom Wissen zum Handeln: Exzellenzstrategie

Schlüsselfunktion theologischer Exzellenz

Akademisch gebildete oder interessierte Leser kennen das seit 2005/06 seitens der deutschen Politik aufgelegte Programm zur Steigerung der Leistung und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen. Es firmiert unter "Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen". Ab 2017/2018 wird das Programm dauerhaft unter dem Namen "Exzellenzstrategie" fortgesetzt. Bestandteile sind sog. "Exzellenzkomplexe oder -cluster" und "Graduiertenschulen". Das dritte und anspruchsvollste Element aber sind die "Zukunftskonzepte", d.h. Agenden zur strategischen Entwicklung der Universitäten.

Nun haben wir bereits auf der Leitseite unsere Skepsis begründet, dass Anspruch und Wirklichkeit im gegenwärtigen Bildungssystem in der Regel weit auseinanderklaffen. Namentlich gilt dies für das Orientierungswissen des Studium generale, und zwar in der gesamten westlichen Welt. Dass diese Skepsis auch in Bezug auf die in Rede stehende Exzellenzinitiative berechtigt ist, zeigt die Feststellung Hubert Markls, 19962002 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, dass nur die "zeitgeistschlüpfrigsten Anträge" Chancen auf Anerkennung und Förderung hätten (G. Turner: Exzellenz und was sonst? In: Handelsblatt, 19.06.2012).

Im Rückblick auf die interdisziplinären Auswertungen dieses Netzportals treten vor unser geistiges Auge ferner viele Daten und Erfahrungen, die in folgender Einsicht zusammenlaufen: Die in Rede stehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Bildungswesen, aber auch sonst, kann nur überbrückt und geschlossen werden, wenn die Einstellung zur Spiritualität, Transzendenz, Religion, Theologie geklärt, realitätsdicht und intakt ist: "The spiritual is the parent of the practical." (Thomas Carlyle)

Deswegen scheint es, dass hier die Grundlagen und Energien für Exzellenz und Erfolg liegen. Und dass eine inspirierende und durchschlagende Exzellenzstrategie den Ausgangspunkt in der Theologie nehmen muss.

Schließlich und endlich ergibt sich aus unseren Untersuchungen, dass auch dieser Ausgangspunkt der Theologie um das Wort Markls noch einmal zu bemühen in ihrem gegenwärtigen Hauptstrom zeitgeistschlüpfrig und damit kindisch und verwahrlost erscheint. Wir haben das im Grundsätzlichen bereits geklärt.

Was aber aussteht, ist ein arbeitsfähiges Zukunftskonzept zur strategischen Entwicklung der Theologie und Religion als der unverzichtbaren Basis für alle anderen Exzellenzinitiativen und Zukunftskonzepte in Wissenschaft, Recht, Kultur und Politik. Voraussetzung und erster Schritt eines solchen Zukunftskonzeptes ist die Vermessung des Feldes der Religion und seine Erschließung für das Zeitbewusstsein, was mit diesem Netzportal vorliegt.

Der zweite Schritt eines solchen Zukunftskonzeptes ist ein detailliertes Reformprogramm zur Aktualisierung der virtuell stets gegebenen Hegemonie der messianischen Zivilisation. Diese Aktualisierung geschieht durch den zielbewussten und unbedingten Willen zur Maximierung der spirituellen, intellektuellen und politischen performance. Sie geschieht zweitens durch Optimierung der Erziehung (Paideia der klassischen Zivilisation), als deren Stufen Kant Disziplinierung, Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung nennt (AA IX, 449450, 483485). Sie geschieht drittens durch Regeln zur vernunftgesteuerten Ordnung des Lebens der Erwachsenenwelt (Koordinatensystem der praktischen Vernunft der aristotelischen, thomistischen und auch kantischen Ethik), ohne sich von einer Regung, die ungeordnet wäre, bestimmen zu lassen (Ignatianische Exerzitien, Kants Methodenlehre der Kritik der praktischen Vernunft).

Wenn und wann dies tunlich erscheint, werden wir ein solches detailliertes Reformprogramm vorlegen. Die Verhältnisse legen dies bis dato nicht nahe. Allerdings soll in Folge unter dem Titel 'Quellen der Exzellenz' angegeben werden, wo Interessierte diesbezüglich fündig werden. 

Quellen der Exzellenz

Drei relevante Traditionen

 

Im Blick auf die Definition theologischer Exzellenz sollte man sich vorab die erstrangigen und bewährten Quellen von Exzellenz überhaupt vergegenwärtigen. Bei einer interkulturellen und interepochalen Bestandsaufnahme im globalen Maßstab ergeben sich hierfür drei relevante Traditionen und eine Zivilisation, in welcher diese Traditionen verschmolzen und verkörpert sind. Diese drei Traditionen stehen für (i) theoretische, wissenschaftliche Exzellenz, (ii) praktische, lebensweltliche Exzellenz und (iii) transzendente, spirituelle Exzellenz. Die drei Traditionen formulieren definitive Antworten der Menschheitsgeschichte auf die drei zentralen Fragen der Philosophie: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? (Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft B 832833)

 

Zeitenwende als Wendezeit

 

Für die letztgenannten Fragen und Antworten ist die Zeitenwende eine Wendezeit. Ein Charakteristikum der Zeitenwende ist die auf allen Gebieten erreichte formale Exzellenz der menschlichen Zivilisation. Damit will gesagt sein, dass die damals in der griechisch-römischen Kultur erarbeitete Theorie und Praxis der Staatsverfassung, des Rechtes, der Wissenschaften, der Künste und Techniken bis heute als Standard, als klassisch gelten. Das betrifft Logik, Mathematik, Ethik, Poetik und Rhetorik genau so wie Rechtswissenschaft, Politik, Verwaltung, Finanzwissenschaft, Militärwesen, Agrikultur und Architektur sowie Physik, Biologie, Medizin, Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft. Natürlich betrifft dies auch und ganz besonders die Religion: Das religiöse Koordinatensystem unserer Zivilisation sind die klassischen Texte und Riten des Alten und Neuen Testamentes.

 

Weltzivilisation

 

Ein weiteres Charakteristikum der Zeitenwende ist, dass diese Zivilisation eine globale wird. Durch die griechische Expansion nach Asien seit Alexander dem Großen wird sie zur beherrschenden Macht in Vorderasien, Innerasien und Indien. In wichtigen Rücksichten wird sie sogar bis in den Fernen Osten zur Leitkultur. Ein Beleg ist der sog. Graeco-Buddhismus, der während 800 Jahren die Entwicklung des Mahayana-Buddhismus beeinflusste und dessen Grundlage bildet. Ab der Spätantike wurde diese hellenisierte Form des Buddhismus in China, Korea und Japan maßgeblich und übte großen Einfluss auf Kunst und Kultur aus, einschließlich der Philosophie und Ethik des Zen. Dazu gehört auch die griechisch-indische Gandhara-Kunst, die Stilempfinden und Kunstproduktion Süd- und Ostasiens entscheidend prägte. Die europäische Philosophie und Kunst beeinflusste den frühen Buddhismus bis in die kanonischen Schriften und künstlerischen Normen hinein sehr stark.

 

Quellen wie die buddhistische Große Chronik (Mahayamsa XII) wissen, dass die griechischen Herrscher und Städte Graeco-Indiens weithin den Buddhismus übernahmen und viele tausende Griechen buddhistische Mönche und Nonnen wurden. Dass ferner griechische Missionare wie der aus dem fernen Westen kommende "blauäugige Ausländer" Bodhidharma im 5. Jh. n. C. den Buddhismus in China und Ostasien einführten und insbesondere die Tradition des Shaolin Kung fu und des Zen begründeten. Umgekehrt ist die skeptizistische Philosophie Pyrrhos, der zum wissenschaftlichen Beraterstab Alexanders des Großen zählte, ein in Indien mit brahmanischen und buddhistischen Gelehrten angedachter Ableger des Buddhismus, wie Diogenes Laërtius berichtet. Ein Ableger, der zeitweise Augustinus zu seinen Anhängern zählte und durchgehend und expressis verbis David Hume. Siehe dazu Ch. I. Beckwith: Greek Buddha. Pyrrho's Encounter with Early Buddhism in Central Asia, Princeton 2017.

 

In derselben Perspektive ist die römische Expansion nach Mittel-, West- und Osteuropa sowie Afrika zu sehen. Wir haben also um Christi Geburt eine im Wesentlichen ganz Europa, Afrika und Asien erfassende Weltzivilisation, eine antike Globalisierung.

 

Theoretische, wissenschaftliche Exzellenz

 

Quelle und Referenz theoretischer, wissenschaftlicher Exzellenz ist die Wissenschaftskultur der klassischen griechischen Zivilisation. Ultimative interdisziplinäre Verkörperung dieser Wissenschaftskultur ist Aristoteles, der die Behandlung der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (Biologie, Psychologie, Logik, Metaphysik, Politik …) in der Regel mit einem wissenschaftsgeschichtlichen Überblick über die bisherigen Versuche auf dem jeweiligen Gebiet beginnt. Das Fazit ist immer, dass die Vorgänger allenfalls richtige Teilgesichtspunkte geltend gemacht haben, ansonsten aber so stümperhaft und unsystematisch sind, dass man sie nicht wirklich Ernst nehmen kann. Und außerhalb der griechischen Bildungswelt herrscht im Blick auf diese Wissenschaften nicht aber hinsichtlich Spiritualität, Religion und Theologie für Aristoteles sowieso blanke Ignoranz und Barbarei. Der bekannte innovative Logiker und Kognitionswissenschaftler Gotthard Günther beschäftigte sich lange und ernsthaft mit der außereuropäischen Wissenschaftskultur Indiens und des Fernen Ostens (Brahmanismus, Taoismus). Er erhoffte sich wesentliche Impulse für seinen geistigen bzw. wissenschaftlichen Horizont. Er wandte sich jedoch schließlich von diesen Studien wieder ab, da er sie insgesamt als unergiebig beurteilte. Die indische und fernöstliche Logik, Wissenschaft und Philosophie erreicht, so Günther, bei weitem nicht das kritische Problembewusstein, die rationale Klarheit und Systematik europäischen Denkens, sondern wirkt oft unpräzise.

 

Praktische, lebensweltliche Exzellenz

 

Quelle und Referenz für praktische, lebensweltliche, politisch-rechtliche Exzellenz und Sozialkompetenz ist die Römische Kultur. Verfassung, Recht, Gemeinschaftsleben und Staatstheorie sind ihre singulären Stärken. Alles, was sich außerhalb des Römischen Rechtsraumes findet, ist hier im Grunde unmaßgeblich und infantil, so der interdisziplinär gebildetste Römische Denker und Staatsmann Cicero in De Oratore: In Sachen Recht, Politik und Geschichte können Römer nicht anders als Stolz und Liebe für ein Vaterland zu empfinden, „welches unter allen Ländern der erste Sitz männlicher Leistungsfähigkeit, Führungskompetenz und Würde ist“. Folgerichtig „müssen uns von ihm vor allem sein Geist, seine Sitten und seine Verfassung bekannt sein, teils weil es unser aller Mutter ist, teils weil wir anerkennen müssen, dass seine Weisheit sich in der Feststellung des Rechtes wie in der Gründung der so großen Macht unserer Herrschaft gleich groß erwiesen hat.“ (De Oratore, Buch I, 196) Ganz besonders gilt dies für Gesetzgebung und Rechtsprechung: „Die großen Vorzüge unserer Vorfahren in der Staatsklugheit vor anderen Völkern sind dann am leichtesten einzusehen, wenn man unsere Gesetze mit denen eines Lykurgos [Urheber der Verfassung Spartas] und Solon [Urheber der Verfassung Athens] vergleicht. Denn es ist unglaublich, wie das bürgerliche Recht überall außer bei uns ungeordnet und, ich möchte fast sagen, lächerlich ist. Ich sage deswegen in meinen täglichen Unterhaltungen oft, dass ich unseren Landsleuten in der Staatsklugheit vor allen anderen und besonders vor den Griechen den Vorzug gebe.“ (ebd. 197)

 

Die erste Autobiographie der Zivilisation des Christentums, die Dankrede (Oratio panegyrica) St. Gregors des Wundertäters (213270 n.C.) auf seinen akademischen Lehrer und spirituellen Mentor Origenes, den dritten Direktor der Hochschule Alexandrien und späteren Begründer der Hochschule Cäsarea, unterstreicht beiläufig, aber umso eindrücklicher diese Sicht Ciceros. Und zwar auch für den hellenistischen Osten und Orient; in paganen Kreisen genauso wie in der Zivilisation des Christentums. Gregors tief bewunderndes Urteil über die Exzellenz des Römischen Rechtes ist das eines professionellen Juristen an der seinerzeitigen rechtswissenschaftlichen Eliteuniversität des Nahen Ostens in Beirut. Der ursprünglich aus den höheren Gesellschaftsschichten des orientalischen Heidentums kommende junge Mann und Rechtsexperte belegt seine diesbezügliche Urteilskompetenz später auch in der Praxis, als einer der charismatischsten Bischöfe der Antike und überragende Führungspersönlichkeit.   

 

Spirituelle, ethische Exzellenz

 

Quelle und Referenz für spirituelle und ethische Exzellenz ist die messianische Zivilisation des prophetischen Theismus. Augustinus' De civitate dei (Vom Gottesstaat, 413426 n. C.), v.a. in den Büchern 110, ist die umfassendste, detaillierteste und reflektierteste wissenschaftliche Darstellung und Kritik der römisch-griechischen und überhaupt indogermanischen Götterwelt in Theorie und Praxis, durch den vielleicht brillantesten Analytiker der antiken Zivilisation. Sie verbindet unmittelbares persönliches Erleben derselben mit Aufarbeitung aller wichtigen religionsphilosophischen Autoren der Antike unter durchgängiger Konfrontation mit dem prophetischen Theismus des alt- und neutestamentlichen Israel. Die Bücher 1122 thematisieren darüber hinaus in entsprechender Weise summarisch die orientalischen und afrikanischen resp. ägyptischen Religionen und Kulturen. Sein Fazit ist, dass außerhalb der messianischen Zivilisation dämonischer, unmoralischer Götzendienst und barbarisches Heidentum das religiöse Feld beherrschen. Sein Urteil ist erfahrungsgesättigt. Aurelius Augustinus (354430) erprobte theoretisch wie praktisch die wichtigsten Konzeptionen eines glücklichen Lebens wie Hedonismus (Sinnenfreude), Wissenschaft (Erkenntnis), Karriere (Macht), Skepsis (Resignation) in unterschiedlichen Philosophien bzw. Religionen (Epikureische Lebensphilosophie, Akademischer [spätplatonischer] Skeptizismus, Ciceronianischer Stoizismus, Dualistischer Manichäismus, Idealistischer Neuplatonismus). Seine Selbstbekenntnisse bilanzieren ein Scheitern der Suche nach Erfüllung auf dem Weg dieser Einstellungen und Philosophien. Sein Denk- und Lebensweg auf der Suche nach dem glücklichen Leben (Eudaimonie) mündete im vierten Lebensjahrzehnt in den prophetischen Monotheismus des neutestamentlichen Israel, in welchem er bekannte, dieses Glück gefunden zu haben.

 

Die Zivilisation der Exzellenz

 

Wir sagten oben: Die angesprochenen drei Traditionen der Exzellenz verschmelzen und sind verkörpert in einer Zivilisation. Diese Zivilisation ist die messianische Zivilisation der Globalen oder Katholischen Weltkirche in Verbindung mit dem globalen Rechtsraum des seit 380 n. C. christlichen oder wie die spätere Formel lautet Heiligen Römischen Reiches. Es ist allgemein bekannt und anerkannt, dass seit der Spätantike hier und nur hier griechische Wissenschaft, römisches Recht und prophetische Offenbarungsreligion zu einer Zivilisation der Exzellenz fusionieren:

 

"Von Theodosius dem Großen [347395 n. C.] an, als nicht nur das Volk, sondern auch die Regierungen mit wenigen Ausnahmen katholisch waren, glaube ich sagen zu können, dass sich die ernst zu nehmende Geschichte ... praktisch in einer einzigen Zivilisation verdichtet, welche ich das Christentum nenne [...] Sind doch nun nicht nur die römischen Kaiser, sondern auch die Herrscher anderer bedeutender Staaten Christen geworden, denn es ist 'in alle Welt und bis an die Grenzen des Erdkreises ausgegangen der Schall von Gottes Wort' [Matthäus 13, 47f] [...] Noch bestehen freilich die Gott untreuen Gesellschaften der ungläubigen Juden und Heiden; da aber unsere Glaubensgenossen alle bedeutenderen Staaten innehaben, während jene nicht nur vor Gott, sondern auch vor der Welt bedeutungslos sind, so lassen sich kaum irgendwelche von ihnen ausgeführte Taten finden, die der Erwähnung wert und der Nachwelt zu überliefern wären." (Otto von Freising: [Welt-]Chronik, V, Vorwort) 

 

Natürlich ist sich Otto von Freisung auch des für die Endphase der Erdgeschichte vorhergesagten großen Abfalles von der Kirche und messianischen Zivilisation bewusst und des Auftretens des Antichristen: Er erörtert diese Perspektive ausführlich im abschließenden Buch VIII, Kap. 18 der Chronik. Viele Männer und Frauen, deren Wort Gewicht hat, sehen uns inzwischen bereits tief im todbringenden, chaotischen und dämonischen Mahlstrom dieses globalen antichristlichen Imperiums, dessen Heraufkunft schon Gregor XVI. im ersten Drittel des 19. Jh. zu erkennen glaubte (Mirari vos, 1832). Vor und nach dieser vorübergehenden antichristlichen Korruption, Revolution und Diktatur ist die messianische Zivilisation der Exzellenz jedoch die globale Leitkultur auch wenn von Anfang an und regelmäßig von barbarischen Aufständen und mafiöser Unterwanderung angegriffen und herausgefordert.

 

Diesen Sachverhalt veranschaulicht nach der Zeitenwende das bis heute maßgebliche Bildprogramm des Apsismosaikes der Basilika St. Pudentiana, der ältesten Kirche der Erde in der antiken Welthauptstadt Rom, in Antike und Mittelalter das erste Ziel der Romfahrer. Das Bild porträtiert den Messias alias die absolute Vernunft (Weisheit, Logos Gottes) als Lehrer der Philosophie und Moderator der menschlichen Zivilisation. Das messianische Reich so die Botschaft zielt auf Bildung und Ethik von ultimativer humaner und transhumaner Realitätsdichte sowie auf deren effektive globale Umsetzung. Das Bildprogramm ist die seit 391 n. C. in Weltanschauung, Bildung, Ethik und Recht offiziell das Christentum verkörpernde römische Weltzivilisation: Das Mosaik zeigt sie als Organ der aus der Transzendenz kommenden Stadt Gottes, des neuen Jerusalem, d.h. der "einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche" (Glaubensformel von 325 n. C.). Umgeben vom Senat der Apostel in Senatorentoga, insbesondere den mit dem Siegeslorbeer bekränzten Apostelfürsten Petrus und Paulus, erscheint der Messias in goldener Toga als philosophischer Lehrer im nahöstlichen, möglicherweise portraitechten Typus. Sein Lehrstuhl ist der kaiserliche Thron des Weltherrschers (Pantokrator). Er verwirklicht das platonische Ideal des Philosophenkönigs, hinter sich das Kreuz als integraler Bestandteil theoretischer und praktischer Vernunft angesichts der misère de la condition humaine. Oder in den Worten Schopenhauers: Philosophie ohne Aszetik bzw. Kreuzeswissenschaft ist Windbeutelei.

 

Wir haben in anderem Zusammenhang die folgenden Eckdaten zum Selbstverständnis der messianischen oder christlichen Zivilisation formuliert, die das Gesagte systematisch verdeutlichen. Es sind diese: (1) Gott schafft und erhält das Universum. (2) Der Sinn des Lebens ist die Erkenntnis und Anerkennung Gottes. (3) Gottesfurcht ist die Bedingung von Intelligenz, Erfolg und Glück. (4) Das Böse Gottlosigkeit, Dummheit, Ungerechtigkeit, Schwäche, Gier – gewann in der Geschichte zunehmende Macht über die Menschen. (5) Jesus Christus ist der Messias, d.h. der Erlöser oder Befreier aus dem Bann des Bösen und Geber ewigen Lebens. (6) Christen sind ontologisch Gottessöhne und ethisch Propheten und transzendieren als spirituelle Spezies die animalische Menschheit von homo sapiens (Matthäusevangelium 5, 12.45). (7) Christen sind als kognitive und moralische Elite „Licht der Welt“ und „Salz der Erde“ (ebd. 5, 1314). (8) Das Christentum ist das Israel Gottes: Seine Mission ist die Spiritualisierung der Völker der Erde und die Verwirklichung der idealen menschlichen Gemeinschaft rechtschaffener Nationen, mit dem Ziel, den Namen des Herrn anzurufen und ihm zu dienen. (9) Das Christentum ist die größte und definitive Religion der Erde und die neue ideale Ära. (10) Die ideale messianische Ära des Christentums generiert auf allen Gebieten der Lebenswelt überlegene, ultimative Leistungsfähigkeit und definiert in Wissenschaft, Ethik, Recht, Politik, Technik, Kunst, Architektur und Musik die globalen Standards.

Wir zitieren hierzu ebenfalls noch einmal den Kölner Theologen Matthias Joseph Scheeben (18351888). Er hat ein klassisches Textbuch für dieses Profil der messianischen Ära verfasst: Die Mysterien des Christentums. Wesen, Bedeutung und Zusammenhang derselben, nach der in ihrem übernatürlichen Charakter gegebenen Perspektive dargestellt. [Erhältlich u.a. als Band II der von Josef Höfer herausgegebenen Gesammelten Schriften, 2. Aufl. Freiburg 1951]. Wir sagten bereits in anderem Zusammenhang: Scheebens Sozialisation, Antrieb und spekulative Kraft stehen formal dem Deutschen Idealismus und der Romantik nahe, was ihn besonders befähigte, deren pseudorationale und irrationale Aspekte mit der intellektuellen und spirituellen Exzellenz seiner Quellen zu konfrontieren und inhaltlich zu sortieren. In dieser Perspektive sind die Mysterien des Christentums eine monumentale Metaphysik der Übernatur, die als Kritik und System der theologischen Vernunft angesprochen werden kann.

Die biblisch, patristisch und scholastisch umfassend untermauerte Kernaussage des Werkes ist zugleich der Zentralinhalt des Christentums. Es ist diese: Menschen erhalten durch die Taufe und den Glauben an den Messias Jesus Christus nicht nur Vergebung der Sünden, sondern göttliches Leben und göttliche Würde. Dies nicht nur im bildlichen Sinn oder per äußerer Adoption, sondern als reale Söhne und Töchter Gottes. Denn der Messias ist einerseits der neue Anfang und das neue Haupt der menschlichen Gattung. Und andererseits bedeutet Messias oder Christus ‚Gesalbter‘, d.h. mit der Gottheit gesalbter Mensch oder Gottmensch und Sohn Gottes par excellence. Deswegen ist auch der Name der Glieder des messianischen Reiches Christen, d.h. ‚Gesalbte‘. In und durch den Messias, den Gesalbten par excellence, sind sie ebenfalls mit der Gottheit gesalbt. Sie sind in ontologischer Hinsicht Götter und Göttinen. Und sie sind in moralischer Hinsicht Propheten, Könige und Priester. Der Geist Gottes ist ihr Geist. Der Glanz und die Herrlichkeit ihres rechtschaffenen und spirituellen Lebens ist der Sinn der Erde und das Licht für die Welt. Der Messias macht sie zu Säulen seiner Kirche und zu Herrschern über die Nationen. 

 

Der Kernbegriff der Messiasbiographien alias Evangelien ist dementsprechend das "Reich Gottes" (Markus 1, 15) als "fundamentale Zeitenwende" (ebd.) und Lebensraum der Erlösung oder ganzheitlichen Gesundung und Optimierung. Es ist eine Neue Weltordnung. Repräsentativ für dieses Selbstverständnis ist etwa der folgende axiomatische Leitsatz aus einer bekannten Grundsatzerklärung der Römischen Kirche zum atheistischen Kommunismus: "Durch ihn [= Jesus Christus] wurde eine neue universale Weltordnung begründet, die christliche Kultur, unvergleichlich höher als jene, die der Mensch bis dahin mit Mühe und nur in einigen wenigen bevorzugten Nationen erreicht hatte [... Sie ist] die einzig wahre menschliche Zivilisation." (Pius XI: Divini Redemptoris, 19.03.1937)

Diese Aussage ist realitätsdicht: Die 814 Stätten des Weltkulturerbes der Unesco (Stand 07/2016) verkörpern "die besten unter den herausragenden Zeugnissen der Menschheitsgeschichte" (www.unesco-welterbe.de). Die weit überwältigende Mehrheit dieser "wunderbarsten Stätten der Geschichte" (ebd.) zählen zur messianischen Zivilisation des Christentums: 554 Stätten oder 68 % bzw. nahezu Dreiviertel des Welterbes. Wenn man Bedeutung, Anziehungskraft und Besucherzahlen dieser Brennpunkte der messianischen Zivilisation hinzunimmt, tritt ihr außergewöhnlicher Rang noch unübersehbarer ins Relief. Die Mehrzahl hiervon oder 343 Orte sind Dome und Gotteshäuser sowie sonstige spirituelle Zentren wie Klosterkomplexe, aber auch Paläste, Innenstädte und Kulturräume von tatsächlich oft unaussprechlicher Anmut und Würde: materialisierter Glaube und Wille der Gottgesalbten alias Christen der neuen idealen Ära. Allein und bereits das Rom der Antike und "der Hochrenaissance und des Barock" ist als "Mitte der ... Christenheit" zugleich Weltkulturerbe Nr. 1 und "das Zentrum der ... Kunst, ... von Goethe als Hauptstadt der Welt gepriesen." (A. Henze: Reclams Kunstführer Italien V. Rom und Latium, Stuttgart 1962, 11)

Von analoger „universeller Bedeutung“ als „eines der großen Vorbilder religiöser Architektur“ (Unesco) ist das erste Weltkulturerbe Deutschlands (1978), der Kaiserdom zu Aachen [Bild links], erbaut 795803 von Kaiser Karl dem Großen. In der strategischen Planung des politischen Moderators Europas ist er in Verbindung mit dem Regierungspalast der Kaiserpfalz und der Eliteakademie der Hofschule inkl. einer Zentralbibliothek das politische, wissenschaftliche und spirituelle Zentrum des Frankenreiches und die Krönungskirche der zukünftigen Staatslenker: 30 Könige Deutschlands übernehmen hier ihr Amt. Die hier entwickelte Schriftreform der Karolingischen Minuskel ist Grundlage aller europäischen Schriften Aachener_Dom_Oktogon_Soerfm_CC_BY_SA_3.0und Norm der globalen modernen Schriftkultur. Der oktogonale Zentralbau, eine auch technische Spitzenleistung, ist die bedeutendste Sakralarchitektur der Epoche nördlich der Alpen. Sie stellt eine Jahrtausende übergreifende Synthese der griechisch-römisch-christlichen Zivilisation der Exzellenz dar: Sie ist im Großen wie im Einzelnen das Symbol der Kontinuität des christlichen römischen Reiches zwischen dem antiken Rom und dem von Karl dem Großen als zweites Rom geplanten Aachen, entsprechend dem von Konstantin dem Großen 330 n. C. als zweites Rom geplanten Konstantinopel. Die Konzeption ist inspiriert von den oströmischen oktogonalen Kaiserdomen Justinians: Kleine Hagia Sophia in Konstantinopel (527/33) und San Vitale in Ravenna (547).

 

Der Bau ruht auf römischen Fundamenten und Vorgängerbauten, verwendet vorgefertigte antike Baumaterialien (Säulen etc.) aus Rom, Ravenna, Griechenland und Ägypten, integriert zahlreiche antike Kunstwerke, und der marmorne Königsthron Karls des Großen und aller Könige Deutschlands besteht aus Elementen der Grabeskirche in Jerusalem. Zahlen, Maße und Proportionen des Gebäudes entsprechen dem Himmlischen Jerusalem der Apokalypse. Ein vorherrschendes Thema des Göttlichen Offiziums und des Messritus der Kirchweihe bzw. deren Jahrestages in der Westkirche wie in den Ostkirchen ist die Identifizierung des Baues und seiner Nutzer und Bewohner mit dem Neuen Jerusalem. Jeder Dom, jede Kathedrale, jede Kirche ist das neue Jerusalem, ist die Stadt Gottes, ist die neue Erde und der neue Himmel: "Caelestis urbs Jerusalem, Beata pacis visio, Quae celsa de viventibus Saxis ad astra tolleris!" "Himmlische Stadt Jerusalem, Selige Friedensvision, Stolzer Bau aus lebendigen Steinen, Deine Zukunft ist über den Sternen" (Hymnus von Matutin und Vesper). In Aachen transportiert  auch die Geometrie der Architektur diese Botschaft.

 

Die deutschen Regierungsoberhäupter haben die offizielle Hauptkirche des Reiches durch Marmorverkleidungen, Mosaiken und Wand- und Glasmalereien fortlaufend architektonisch bereichert und durch Ausstattungsstücke der Superlative ästhetisch optimiert. So Kaiser Kaiser Heinrich II. 1002/14 durch den erstrangige byzantinische, orientalische und ägyptische Kunstarbeiten integrierenden Heinrichsambo oder -kanzel; Kaiser Otto III. stiftete 1020 eine goldene Altartafel (Pala d'Oro) mit Christus als Weltherrscher in der Mandorla, begleitet von der Gottesmutter Maria und dem Erzengel Michael sowie vier Rundmedaillons mit den Evangelistensymbolen und zehn Relieftafeln mit einem Zyklus zur Leidensgeschichte des Messias und Gottesknechtes. Kaiser Friedrich I. und seine Gattin Beatrix von Burgund stifteten 1165 den monumentalen Rund- oder Barbarossaleuchter; Kaiser Friedrich II. 1215 den unschätzbaren vergoldeten Karlsschrein mit den Gebeinen Karls des Großen und Reliefs der deutschen Könige seit Karl dem Großen; Kaiser Karl IV. 1350 die weltberühmte Karlsbüste. Albrecht Dürer, Teilnehmer und Augenzeuge der Krönung König Karl V. in Aachen am 24.10.1520, notierte zu diesem Tag, er habe ultimative Herrlichkeit und Schönheit gesehen: „alle herrliche Köstlichkeit, desgleichen keiner … köstlicher Ding gesehen“ (G. Unverfehrt: „Da sah ich viel köstliche Dinge“. Albrecht Dürers Reise in die Niederlande, Göttingen 2007, 104).

 

Zu diesen spirituellen Stätten des Welterbes treten 60 Welterbestätten der griechischen und römischen Zivilisation, deren Substanz von der messianischen Zivilisation aufgenommen wurde und in ihr weiterlebt. Ferner 151 technisch-industrielle Kulturstätten, die unmittelbare Produkte der wissenschaftlichen und technischen Exzellenz der Zivilisation der Christenheit sind. Denn auch in diesen Hinsichten deklassiert diese alles, und zwar um Dimensionen, was man sonst auf der Erde und in der Geschichte vorfindet. Ihre Schriftkultur und Mathematik definiert die internationalen Standards. Sie hat die an allen Universitäten der Welt gelehrte und in Technik und Industrie aller Kontinente angewandte Naturwissenschaft: Physik, Chemie und Biologie geschaffen. Sie hat die in allen Staaten der Welt maßgeblichen Verfassungen und Gesetzesordnungen theoretisch konzipiert, praktisch erprobt und jahrtausendelang vervollkommnet. Alle Ärzte und Kliniken der Welt sind der fortschrittlichen Medizin der europäischen Zivilisation verpflichtet, die von ärztlichen Persönlichkeiten der messianischen Ära entwickelt wurde. Reichtum, Schönheit und Perfektion der Musikkultur der europäischen christlichen Zivilisation sind ohne Parallele: Sie wird weltweit rezipiert und gefeiert. Dasselbe gilt von der schon angesprochenen, beispiellosen Kreativität, Qualität und Quantität der Architektur, Bildhauerei und Malerei. Das soziale Engagement und der sittliche Heroismus dieser Zivilisation übersteigt, so Augustinus in De vera religione, das Vorstellungsvermögen anderer Weltanschauungen und Sozialsysteme:

"Das ist es, was wir [= die vorchristlichen Platoniker] nicht wagten, den Leuten ernsthaft nahezulegen. Haben wir uns doch statt dessen lieber ihren üblen Gewohnheiten angepaßt, statt sie zu dem, was wir glaubten und wollten, hinzuführen. [Augustinus:] Wenn also jene Männer noch einmal das Leben mit uns teilen könnten [...] dann brauchten sie nur wenige Worte und Ansichten zu ändern, um selbst Christen zu werden. So haben es ja die meisten Platoniker unserer jüngsten Zeit gemacht.“ (W. Thimme (Hrsg.): Augustinus: Theologische Frühschriften. Vom Freien Willen. Von der Wahren Religion, Zürich / Stuttgart 1962, Kap. 4, 67, §§ 2224, 379381)