- 1. Zum Objektbereich der Logik
- 2. Intensionale Begriffslogik
- 3. Intensionale Modallogik
- 4. Priorität der Begriffslogik: Forschungsbericht
- 4.1. Gegenstandsgebiet der Logik
- 4.2. Mathematische Logik der Frege-Russell-Tarski-Tradition
- 4.3. Motivation der mathematischen Logik
- 4.4. Scheitern der Ableitung von Mathematik aus Logik
- 4.5. Grenzen mathematischer Logik: Pragmatik und Intensionalität
- 4.6. Bedeutungsanalyse
- 4.7. 'Parasitäre' intensionale Logik
- 4.8. New Logics
- 5. Priorität der Begriffslogik: Systematisches Argument
- 6. Priorität der Begriffslogik: Ergänzendes Argument
- 7. Rhetorisch-hermeneutische Logikkritik
- 8. Hegel'sche Dialektik als Intensionale Logik
- 9. Semiotik und Phänomenologie zu Intension und Extension
- 10. Kognitionswissenschaft: Simulation logischen Denkens
Zum Objektbereich der Logik
In der Frage nach dem Universum oder Objektbereich der Logik gehen wir ebenfalls von den Überlegungen Kants zur Logik aus. Es wird sich zeigen, dass sie ein geeigneter Rahmen sind, um die Entwicklung der nachklassischen formalisierten Logik (seit Mitte des 20. Jh. bis heute) zu erörtern. Diese nachklassische Logik beabsichtigt eine logische Analyse und Erfassung aller Bereiche der Kognition in Sprache und Lebenswelt, nicht nur des mathematischen Denkens. Diese Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, dass die ursprünglich rein extensional aufgebaute formalisierte Logik der Moderne nun auf das überall auftauchende Problem des Begriffsanalytischen (Intensionale Logik / Modallogik) stieß und dieses einzuarbeiten suchte. Grundlegend Lewis / Langford: Symbolic Logic, 1932, und Carnap: Meaning and Necessity, Chikago 1947. Dazu kam die Herausforderung durch das sog. Qualifikations- und Rahmenproblem, nämlich die Begrenztheit und Zeitabhängigkeit der Annahmen- und Datenbasis konkreten menschlichen Wissens und Denkens: Epistemische Logik und Zeitlogik. Grundlegend für Erstere sind G. H. v. Wright, N. Rescher und v.a. Hintikka: Knowledge and Belief, London 1962, für Letztere Prior: Time and Modality, Oxford 1957. Für beides hat sich Kant in besonderer Weise interessiert. Kants transzendentale Logik ist in gewissem Sinn eine Epistemische und Zeitlogik. Und für die formale Logik Kants gilt: Objektbereich der logischen Funktionen sind Begriffsintensionen und Grunddisziplin der Logik ist die intensionale Begriffslogik.
Der bekannte russische Logiker V. Bryushinkin (Kants Philosophie und moderne Logik. Eine Tagung in Swetlogorsk. In: Kant-Studien (85) 1994, 85) informiert über das Programm „Logische Kantforschung“ in Kaliningrad [Königsberg], dessen erste Zielsetzung „die Erschließung des heuristischen Potentials der Kantischen Philosophie für gegenwärtige Forschungen auf dem Gebiet der Logik, Linguistik und ‘künstlichen Intelligenz’“ ist. Wir haben bereits darauf hingewiesen. Hier noch einmal die Zusammenfassung der Tagung „Logische Kantforschung – 3“ (1991) in der „Perspektive der interdisziplinären Fragestellung, insbesondere der Verwendung der Kantischen Intelligenztheorie zum Aufbau von Systemen der künstlichen Intelligenz. Es wurde auch die enge Verbindung zwischen der von Kant ausgearbeiteten Methode der Analyse der Abhängigkeit von Wissenscharakteristiken von der Tätigkeit des erkennenden Subjekts und den gegenwärtigen Methoden der Berücksichtigung von Charakteristiken des Subjekts in epistemischen, dynamischen und programmatischen Logiken betont.“ (Bryushinkin 1994, 87)
Intensionale Begriffslogik
Die kantische Bestimmung der Logik als logische Grammatik umfasst zwei Aspekte: die formalen Denkfunktionen oder logischen Operatoren und als Objektbereich das Universum von Begriffsintensionen. Zum Selbstverständnis der kantischen Logik ist also wichtig, im Auge zu behalten, dass in ihr die intensionale Begriffslogik der Operationsbereich der formalen Logik als Grammatik des Denkens ist. De Jong skizziert die intensionale Begriffslogik als Erörterung der Klarheit und Deutlichkeit (Distinktheit) der Begriffe (= Begriffsanalysis), ausgehend von Descartes über Malebranche und Leibniz zur deutschen Aufklärung bei Wolff, Reimarus, Crusius, Meier und Kant (Kant’s Analytic Judgments and the Traditional Theory of Concepts. In: Journal of the History of Philosophy 33 (1995), 620—623). Dieses logische Paradigma wird von de Jong als Conjunction Model of Concepts bestimmt: „Kant’s intensional clarification of concepts as an explicitation of partial concepts has its place in the context of a view of concepts that enjoyed wide acceptance in the seventeenth and eighteenth centuries." (1995, 623) De Jong vergleicht dieses Paradigma mit der traditionellen antik-scholastischen Begriffstheorie – mit dem Fazit der wesentlichen Übereinstimmung hinsichtlich der Theorie der Definition und Einteilung der Begriffe: „In this regard one must think on the first place of the (logical) interweaving of species, genus and differentia as these appear, for example, in the well-known model of definitions: definitio fiat per genus proximum et differentias specificas.“ (De Jong 1995, 624) [Bild oben: Hermann Samuel Reimarus, Hamburg 1694—1768, Logikautor (Vernunftlehre 1756) und Vordenker der historischen Bibelkritik]
Was die Leistungsfähigkeit und Reichweite der Logik angeht, so vertritt Kants Logikkorpus in der Philosophie bzw. Grundlagentheorie der Logik „eine gemäßigte kritische Position ..., für die Logik nicht Organon der Wissenschaftlichkeit und Rationalität ist, sondern ein Kanon, der nur negative Kriterien liefert. Positive Kriterien sind nur philosophisch, sei es transzendental, sei es in anderweitig zu charakterisierenden erkenntnistheoretischen Erwägungen zu gewinnen.“ (Seebohm: Philosophie der Logik, Freiburg/München 1984, 10)
Die Reduktion der Logik zum Kanon ist eng verbunden mit der intensionalen Interpretation der deskriptiven Logik. Was das eigentlich Logische in der deskriptiven Logik ist, muß immmer auf Begriffsanalyse reduzierbar sein, was darüber hinausgeht sind Spitzfindigkeiten. Daß Logik vom Gehalt abstrahiert bedeutet, daß sie vom Gegenstandsbezug abstrahiert und damit von Existenz. Logisch sind lediglich die Beziehungen zwischen Begriffen im Urteil und Schluß. Die Prinzipien des Schließens werden auf die Prinzipien der Explikation der Begriffe nach Inhalt und Umfang reduziert. Der Begriffsumfang darf hier nicht durch die Klasse der Individuen, auf die der Begriff bezogen werden kann, verstanden werden, sondern als die Sphäre der Begriffe, die diesen Begriff als gemeinsames Merkmal haben (Kant Logik, Einleitung VIII und §§ 9—16).“ (Seebohm 1984, 32)
Eine Formalisierung der kantischen Begriffslogik liegt in Seebohm (The Grammar of Hegel’s Dialectic. In: Hegel-Studien 11 (1976), 149—180) vor. Eine kurzgefasste formalisierte Einführung bietet de Jong (1995, 618). Die Bestimmung der kantischen Logik als logische Grammatik umfasst mithin zwei Gesichtspunkte: die reinen formalen Denkfunktionen bzw. logischen Operatoren und als Objektbereich das nicht leere Universum von Begriffsintensionen. In einem Satz: „The ‘Logic of concepts’ is the basic discipline of the logica pura.“ (Seebohm: Some Difficulties in Kant’s Conception of Formal Logic. In: Proceedings of the Eigth International Kant Congress, Memphis 1995, I, Milwaukee 1995, 568)
Die sachliche Entsprechung zur Begriffsanalyse des 18. Jahrhunderts ist jenseits unterschiedlicher terminologischer Einkleidungen im 20. Jahrhundert die Bedeutungsanalyse: Moderne Ansätze zum Begriff der Analytizität referieren lediglich nicht auf die Analyse von Begriffen, „instead one appeals, for instance, to the meaning or definition of the terms contained in a sentence. But ... these are only modern (semantical) variants of the broad sense of analyticity as conceptual truth.“ (De Jong a.a.O. 1995, 613)
Vgl. Engfer (Philosophie als Analysis. Studien zur Entwicklung philosophischer Analysiskonzeptionen unter dem Einfluß mathematischer Methodenmodelle im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 18), Hintikka (Logic, Language games and Information: Kantian Themes in the Philosophy of Logic, Oxford 1973, 126), de Jong (a.a.O. 1995, 613), und andere, die die wichtige Anmerkung machen, dass die Schnittstelle zwischen dem Erkenntnissubjekt und der Realität in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts von den Ideen oder Begriffen besetzt war. Es war die große Zeit der Ideen oder der Begriffsanalyse. Diese Systemstelle wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu besetzt durch Bedeutungen (meanings). Heute spricht man somit von einer Blütezeit der Bedeutungsanalyse.
Intensionale Modallogik
Die formalisierte Logik in Gestalt der modernen Prädikatenlogik und besonders Modallogik intendiert eine extensionale Handhabung von Intensionen und eine formalistische Rekonstruktion der Umgangssprache und bleibt so technisch extensional. Die ausführlichste und begründetste Kritik an Interpretationsversuchen speziell der kantischen intensionalen Logik auf der Basis der modernen [= klassischen formalisierten] Prädikatenlogik (vgl. Hintikka (1973)) ist de Jong (1995, 641):
„Analyticity in Kant is a form of conceptual truth. Nevertheless, the common interpretation of Kant’s analyticity as a form of conceptual truth is also rejected, to the extent that it takes its point of view from modern (predicate) logic uncritically. More positively, it is shown that analyticity in Kant can be characterized rather precisely within a pure logic of concepts".
In de Jong (1995) und Peijnenburg (Formal Proof or Linguistic Process? Beth and Hintikka on Kant’s Use of ‘Analytic’. In: Kant-Studien 85 (1995), 160—178) findet sich eine überzeugende Kritik an Hintikkas (1973) Versuch einer extensionalen, formalen Rekonstruktion von Begriffsintensionen und ihrer Analyse: "Hintikka’s astute studies of the Kantian ‘analytic’ and ‘synthetic’ have by now become world famous [...] Hintikka himself never kept it a secret that his interpretation heavily relies on the interpretation which was developed by the dutch philosopher and logician Evert Willem Beth [...] But unlike Hintikka, Beth holds that ‘analytic’ does not correspond to any formal proof at all. According to Beth, ‘analytic’ refers to a kind of reasoning which is mainly heuristic, and which precedes the sort of reasoning by which formal proofs are generated. The products of analytic reasoning, i.e. the analytic judgements, are not the results of formal proofs. Those products result from a linguistic process that is guided by the principium contradictionis, taken as a rule for meaningful linguistic usage. Hence the products of analytic reasoning are not formal truths of logic. At best, as we have tried to show, they are material truths.“ (Peijnenburg 1995, 160—161, 177)
Seebohm (a.a.O. 1995, 568) erweitert diese Kritik auch auf Versuche der Rekonstruktion echter intensionaler Logik (wie jene Kants) durch die moderne 'intensionale' Modallogik und ihre extensionale Semantik möglicher Welten: „Kant’s conception of the logica pura does not know and cannot admit the concept of reference, nor, of course, sets of states of affairs ... ‘possible worlds’ ... The so-called ‘logic of intensions’ of modern modal logic is not the proper instrument for the explication of Kant’s intensional conception of logic. [...] An explication with the aid of classical formalized logic is impossible as well.“
Was die Logik der Intensionen der modernen Modallogik angeht, so sind v.a. zwei Gründe für die in Rede stehende Ungleichartigkeit zu nennen. Erstens: „Im nachklassischen Formalismus handelt es sich nicht mehr um reine Logik, sondern um auf Linguistik angewandte Logik. [...] Der Übergang von reiner zu angewandter Logik ergibt sich, wenn materiale Voraussetzungen über die Eigenschaften bestimmter Prädikate [und Relationen] gemacht werden.“ (Seebohm: Philosophie der Logik, Freiburg/München 1984, 217) Dies geschieht aber mit der Einführung sogenannter Zugangsrelationen (d.h. zu möglichen Welten oder Kontexten) mit unterschiedlichen Eigenschaften (z.B. Serialität, Reflexivität, Transitivität, usw.). Zweitens: „Der Anspruch“ der modernen Modallogik ist, „eine extensionale Explikation intensionaler Phänomene zu liefern und darüber hinaus eine formalistische Rekonstruktion der Umgangssprache einschließlich der hier zu findenden ‘philosophischen Entitäten’“. – „Eben weil das der Fall ist, bleibt die nachklassische Logik technisch extensional auch dann, wenn sie verspricht, eine eben extensionale Interpretation des Begriffes der Intension zu liefern.“ (Seebohm 1984, 218—219)
Zu dem bereits Gesagten kommt das Folgende hinzu: Im Gegensatz zur kantischen intensionalen Konzeption der Logik beansprucht die klassische und nachklassische formalisierte Logik Kompetenz in denjenigen Bereichen des realen Verstandesgebrauches, die Kant der Transzendentalphilosophie, d.h. Metaphysik bzw. transzendentalen Logik, zuweist. Dies macht die folgende Gegenüberstellung der charakteristischen Merkmale der formalisierten Logik und der charakteristischen Merkmale der kantischen Auffassung der Logik unmittelbar deutlich.
(1) Kantische Logikkonzeption: (a) Deskriptive Methode: „Deskriptive Logik [= traditionelle formale Logik] gewinnt ihren Gegenstand allein durch Reflexion auf die logischen Strukturen, die in natürlicher Sprache unmittelbar manifest sind.“ (Seebohm 1984, 19) (b) Reduktion der formalen Logik zum Kanon: Negatives Kriterium des Denkens. (c) Intensionale Interpretation: nichtreferentielle Begriffsanalyse.
(2) Klassische und nachklassische formalisierte Logik: (a) Rekursive Methode: Formalisierte logische Grammatik der Wissenschaftssprache oder Umgangssprache (im Sinne der leibnizschen characteristica universalis). (b) Logik als positives Erkenntnisinstrument oder Organon der Wissenschaften: Epistemisches Programm (im Sinne der leibnizschen mathesis universalis). (c) Extensionale Interpretation.
Priorität der Begriffslogik: Forschungsbericht
Die Nichtersetzbarkeit und Priorität der Begriffslogik liegt in der Rekursivität formalisierter Kalküle und zugeordneter semantischer Modelle, die eine intensional-pragmatische Bedeutungstheorie voraussetzen. Hierzu folgende Skizze zur unverzichtbaren Systemstelle der formalen Begriffslogik des kantischen Typs. Dabei müssen in vorliegendem Zusammenhang formallogische Standardorientierungen vorausgesetzt werden, also ableitungssyntaktische und semantische Verfahren, Metatheorie und Gemeinsamkeiten und Unterschiede von klassischer (mathematischer) und nachklassischer (universeller) formalisierter Logik.
Gegenstandsgebiet der Logik
Die logische Grundlagenforschung der Gegenwart erschließt der Logik wieder ihr gesamtes traditionelles Gebiet als Prinzipientheorie oder Grundwissenschaft bzw. Theorie der Kognition überhaupt. Auch wenn Kant die formale Logik wie bekannt und erörtert sehr eng fasst, steht dennoch die kantische Theorie in dieser Tradition. Denn neben der formalen Logik entwickelt Kant die transzendentale Logik und kennt die angewandte Logik oder Methodenlehre der unterschiedlichen Disziplinen wie der Mathematik. Und wenn Kant die formale Logik nicht als Organon, sondern als Kanon, d.h. als nur negatives Kriterium wissenschaftlicher Rationalität fasst, sodass positive Kriterien nur philosophisch (transzendental und epistemisch) zu gewinnen sind, ist dies differenziert zu verstehen. Es lässt sich zeigen, dass die Semantik der kantischen Logik unter dem Leitbegriff des mittelbaren Gegenstandsbezuges steht. Dies bedeutet, dass die Logik mittelbar durchaus ein Organon des wissenschaftlichen Denkens ist (vgl. Tonelli: Kant’s Critique of Pure Reason within the Tradition of Modern Logic. In: Akten des 4. Internat. Kant-Kongresses Mainz 1974, 3, Berlin/New York 1975, 186—191).
Maßgeblich für die gegenwärtige Rückgewinnung des gesamten Gebietes der Logik sind in der nachklassischen formalisierten Logik die genuin Intensionale Logik von G. Bealer / U. Mönnich: Property Theories. In: Gabbay, D. / Guenthner, F. (1989) Handbook of Philosophical Logic, Bd. IV: Topics in the Philosophy of Language, Dordrecht/Boston/London, 133—251; D. M. Gabbay's New Logics = angelsächsische Synthese von mathematischer Logik und Begriffslogik, vgl. What is a Logical System? In: Gabbay, D. M. (ed.) What is a Logical System?, Oxford 1994, 179—216; sowie G. Meggles und G. Siegwarts Pragmatische Konstitutionstheorie = kontinentale Synthese von hermeneutisch-dialektischer Begriffslogik und mathematischer Logik, vgl. Meggle / Siegwart: Der Streit um Bedeutungstheorien. In: Dascal / Gerhardus et al. (Hrsg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Berlin/New York 1996, 964—989. Siehe auch weiterführend: Bealer, G.: Quality and Concept, Oxford / New York 1982; Zalta: Intensional Logic and the Metaphysics of Intentionality , Cambridge, MA 1988; Siegwart, G: Vorfragen zur Wahrheit. Ein Traktat über kognitive Sprachen, München 1997.
Programmatische Manifeste dieser Verbindung von sprachlogischer Pragmatik / Hermeneutik und formalisierter Logik legten vor Hintikka (Socratic Questions, Logic and Rhetoric. In: Revue Internat. de Philosophie 47 (1993), 5—30, und ders.: Strategic thinking in Argumentation and Argumentation theory. In: Revue Internat. de Philosophie 50 (1996), 92—130) – von Seiten der formalisierten Logik, und S. Toulmin (Rationality & Reasonableness. From Propositions to Utterances. In: Revue Internat. de Philosophie 50 (1996), 297—305) – von Seiten der Hermeneutik und Rhetorik. Der italienische Kantexperte C. La Rocca rekonstruiert diese neue Synthese direkt in der Architektur der kantischen Transzendentalphilosophie – als Verbindung von formaler Logik, transzendentaler Logik und erkenntnistheoretischer Logik. Letztere umfasst die intensionale Logik möglicher objektiver Welten und die epistemische Logik der Subjektwelten. Vgl. dazu Esistenza e giudizio. Linguaggio e ontologia in Kant, Pisa 1999). Eine der wichtigsten Arbeiten schließlich haben wir bereits kennen gelernt, jene von Michael Wolff: DieVollständigkeit der kantischen Urteilstafel: mit einem Essay über Freges Begriffsschrift, Frankfurt/M. 1995. Wolff hat dieser eine zweite allgemeinere Programmschrift folgen lassen: Abhandlung über die Prinzipien der Logik, Frankfurt/M. 2004
Mathematische Logik der Frege-Russell-Tarski-Tradition
Die etwa von 1890—1960 im Vordergrund stehende mathematische Logik der Frege-Russell-Tarski-Tradition hatte die Logik extensional, formalistisch und axiomatisch gefasst und so riesige Bereiche logischer Rationalität und Kognition eingeklammert. Paradoxerweise hat selbst Frege als Begründer der klassischen formalisierten Logik in extensionaler Interpretation, die Vor- und Überordnung von begrifflichen Intensionen und von deren Gewinnung programmatisch herausgestellt. Damit zusammenhängend hat Frege die eigene Entscheidung für den Primat der extensionalen Interpretation der Logik später selbstkritisch in Frage gestellt und bereut (vgl. Schüler Grundlegungen der Mathematik in transzendentaler Kritik. Frege und Hilbert, Hamburg 1983, 1–29), Seebohm (a.a.O. 1984, 220, 234)). [Foto rechts: Bertrand Russell, 1872—1970, Mitautor der Principia Mathematica, neben der Begriffsschrift Freges das Grundbuch der formalisierten mathematischen Logik]
Davon abgesehen bestand Frege durchgängig auf die bereits für die Erkenntnisleistung der Wahrnehmung von „beobachtbaren Gegenständen“ unabdingbaren intensionalen, intelligiblen Strukturen bzw. „abstrakten Entitäten“: „Das Haben von Gesichtseindrücken ist noch kein Sehen von Dingen [...] Was noch hinzukommen muß, ist nichts Sinnliches.“ (Frege: Logische Untersuchungen (hrsg. v. G. Patzig), 3. Aufl. Göttingen 1986, 51) Außerdem: „‘Tatsachen! Tatsachen! Tatsachen!’ ruft der Naturforscher aus, wenn er die Notwendigkeit einer sicheren Grundlegung der Wissenschaft einschärfen will. Was ist eine Tatsache? Eine Tatsache ist ein Gedanke [= begriffsintensionaler Gehalt], der wahr ist [...] Die Arbeit der Wissenschaft besteht in einem Entdecken von wahren Gedanken.“ (Frege 1986, 50)
Auch Freges berühmtes Kontextprinzip geht in die Richtung einer intensionalen, pragmatischen Bedeutungstheorie. Danach haben Wörter nur innerhalb [= im Kontext] eines vollständigen Satzes einen Sinn. Man hat dies zu Recht als top-down meaning determination bezeichnet, als Bedeutungsholismus light. Es ergänzt und korrigiert eine mögliche einseitige Betonung des von Frege ebenfalls vertretenen Kompositionalitätsprinzips (auch Fregeprinzip). Danach lassen sich Sinn und Bedeutung von Sätzen (und komplexer lexikalischer Ausdrücke wie 'Holzofen') von unten nach oben konstruieren oder zusammenbauen – als Verbindung der atomaren Bedeutungen der lexikalischen Ausdrücke mit der Bedeutung der syntaktischen Form. Hauptsächliche Argumente hierfür sind die Produktivität der Sprache, welche uns erlaubt, unbegrenzt neue Sätze aus den sprachlichen Bausteinen zu bilden und zu verstehen; zum anderen die Systematizität der Sprache, d.h. ihre identische und vorhersagbare logische Struktur. Das Fregeprinzip ist also eine bottom-up meaning determination. Vgl. Fodor: The Compositionality Papers, Oxford 2001, und Werning / Machery / Schurz (eds.): The Compositionality of Meaning and Content I+II, Frankfurt a. M. 2005.
Motivation der mathematischen Logik
Um die Entwicklung in der modernen Logik seit Frege, d.h. seit ca. 1870, zur formalisierten mathematischen Logik verstehen zu können, muss ein doppelter Ausgangspunkt berücksichtigt werden. Einmal der im 19. Jahrhundert vorherrschende Psychologismus, der die Logik zum Teilgebiet der Psychologie ohne spezifisch eigenes Gegenstandsgebiet und eigene Gesetzlichkeit reduzieren wollte. Frege und Husserl zeigten die objektsprachliche Unhaltbarkeit dieses Ansatzes. Metasprachlich liegen die Dinge komplizierter (vgl. Seebohm: Psychologism Revisited. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) Phenomenology and the Formal Sciences, Dordrecht 1991, 149—182) und Bryushinkin (Kant, Frege and the Problem of Psychologism. In: KS 90 (1999), 59—74), und: Psychologism, Logic and Phenomenology. In: Wiegand, O. u.a. (Hrsg.) Phenomenology on Kant, German Idealism, Hermeneutics and Logic. Philosophical Essays in Honor of Thomas M. Seebohm, Dordrecht 2000, 39—52).
Und noch stärker muss in Anschlag kommen, dass in der traditionellen formalen Logik als deskriptiver Logik, deren Medium die Natürliche Sprache ist, zwar allein logischer Sinn ursprünglich und primär gegeben ist, was auch in der modernen Entwicklung neuerdings immer deutlicher wurde. Dass aber andererseits die deskriptive Logik, sei es als intensional-extensionales Organon in Antike und Scholastik, sei es als intensionaler Kanon der Neuzeit (Kant), nicht kompetent war, die Mathematik und ihre Verfahren begrifflich zu bewältigen, d.h. als Organon, Werkzeug auch der Mathematik und mathematischen Naturwissenschaften zu dienen (Seebohm a.a.O. 1984, 29—34). Dazu brauchte es eine extensionale Logik in mathematischer Präzision: die klassische formalisierte Logik der Frege-Russell-Tarski-Tradition. Formale Logik wurde hier zum negativen und positiven Kriterium wissenschaftlich-methodischen Argumentierens, ja zum Maßstab wissenschaftlicher Rationalität überhaupt und zur allein legitimen Philosophie. Der Logische Positivismus und die ursprüngliche Analytische Philosophie verkörperten diese Positionen. Kanonische wissenschaftstheoretische Darstellungen fand diese Position in Carnap (Der logische Aufbau der Welt, 2. Aufl. Hamburg 1961 [1928]) und Quine (Wort und Gegenstand, Stuttgart 1990 [1960]). Für den mathematischen Logikkalkül selbst ist repräsentativ Boolos / Burgess / Jeffrey: Computability and Logic, 5. Aufl. Cambridge 2007. Bald wurden die Grenzen dieses Ansatzes deutlich.
Scheitern der Ableitung von Mathematik aus Logik
Entgegen dem ursprünglichen Programm Freges zeigte sich, dass die Mathematik nicht vollständig aus der Logik abgeleitet werden kann, auch wenn es mit dieser formalisierten Logik möglich ist, mathematisches Beweisen zu explizieren. Die intuitionistische Logik und der mathematische Konstruktivismus (Brouwer, Heyting, Kamlah/Lorenzen, vgl. Seebohm (a.a.O. 1984, 179—183) und Schüler (a.a.O. 1983)) waren und sind genau ein Versuch zur Neubestimmung der Logik und Mathematik nach dem Scheitern des Logizismus (Frege, Russell) und Formalismus (Hilbert). Dieser Versuch nähert sich stark an die kantische und phänomenologische Grundlegung der Mathematik an: Es handelt sich um einen objektiven Konzeptualismus, der also den problematischen Objektivismus der klassischen formalisierten Logik aufgibt und die Stellung des Erkenntnissubjekts in der Logik und Mathematik selbst mitbedenkt (vgl. Posy: Kant and Conceptual Semantics: A Sketch. In: Topoi 10 (1991), 67—78).
Grenzen mathematischer Logik: Pragmatik und Intensionalität
Schwerer wog noch, dass die Sprachlogik, d.h. die Dimensionen der Pragmatik (epistemische Intentionalität und Temporalität) und Begriffsanalytizität (Intensionalität) formal nicht bewältigt werden konnte. Diese Verkürzung und Beschränkung der klassischen formalisierten Logik im Blick auf die Sprachlogik wird im großen Stil jedoch erst seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts realisiert und zum allgemeinen Problem, als systemimmanente Antinomien und Aporien sich häufen. Diese betreffen die Unangemessenheit und Nichtübersetzbarkeit logischer Operatoren der klassischen Logik in die Umgangssprache, dann wie erwähnt die Hilflosigkeit gegenüber Begriffsanalytiziät, Pragmatik und Subjektivität, sowie die Evidenzparadoxien bei einer Reihe gültiger Schlussformen der klassischen formalisierten Logik, die deren Bedeutung für umgangssprachliches und wissenschaftliches Argumentieren in Zweifel ziehen. Vgl. die systematische Nachzeichnung dieser Entwicklung in Seebohm (1984, 144—183). [Foto links: Die Logikerin Ruth Barcan Marcus (* 1921). Sie hat die nachklassische (intensionale) formalisierte Logik angedacht und mitentwickelt]
Die gewaltigen Verdienste und Fortschritte im Zeichen der formalisierten Logik werden dadurch keinesfalls in Frage gestellt. Aber sie wird nun als Teilaspekt einer umfassenden Logik oder Theorie der Kognition einerseits relativiert, andererseits integriert (Bealer/Mönnich (a.a.O. 1989, 133—251), Gabbay (a.a.O. 1994), Müller (a.a.O. 1994), Meggle/Siegwart (a.a.O. 1996)). Sie wird eingebettet in die epistemischen, dynamischen und reflexionslogischen Dimensionen der Pragmatik: Performatorik und Intentionalität (Seebohm (1984), Müller (1995), Meggle/Siegwart (1996)), der Intensionalität (Bealer/Mönnich (1989), Cocchiarella (Philosophical Perspectives on Formal Theories of Predication. In: Gabbay, D./ Guenthner, F. (1989) Handbook of Philosophical Logic, Bd. IV: Topics in the Philosophy of Language, Dordrecht/Boston/London 1989, 254—326) und der Ontologie und Empirik (Salmon: Reference and Information Content: Names and Descriptions. In: Gabbay, D./ Guenthner, F. (1989) a.a.O. 1989, 409—461), Cocchiarella (1989), Stekeler-Weithofer (Der Streit um Wahrheitstheorien. In: Dascal / Gerhardus et al. (Hrsg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung 7.2 , Berlin/New York 1996, 989—1012), Müller (1995), Meggle/Siegwart (Der Streit um Bedeutungstheorien. In: Dascal / Gerhardus et al. (Hrsg.) a.a.O. 1996, 964—989). Eine systematische Zusammenstellung der hier einschlägigen kognitiven Ebenen und Leistungen kann im ersten Abschnitt (Überblick: Vereinheitlichte Theorie der Kognition) des Menus Erkenntnistheorie eingesehen werden.
Bedeutungsanalyse
Die hier auf allen Ebenen der Logik und/oder Kognitionswissenschaft anstehende Herausforderung ist insbesondere die intensionale Analyse als Bedeutungs- oder Sinnanalyse. Die nachklassische logische Grundlagenforschung der Gegenwart arbeitet daher seit den 60er Jahren systematisch an intentionalen und intensionalen Fragestellungen. Die intensionale Begriffsanalyse (Sinnanalyse) oder Bedeutungstheorie ist eine Herausforderung in allen Bereichen der formalisierten klassischen und nachklassischen Logik (vgl. die repräsentative Darstellung und Diskussion in Garson: Quantification in Modal Logic. In: Gabbay, D. / Guenthner, F. (Hrsg.) Handbook of Philosophical Logic II, 1984, 249—307, und Seebohm a.a.O. 1984, 184—244, sowie Davidson: Der Mythos des Subjektiven, Stuttgart 1993, 16—39. In der (a) Aussagenlogik stellt sie sich in indirekten Kontexten, insbesondere propositionalen Stellungnahmen; in der (b) Prädikatenlogik in der Analyse deskriptiver Terme (Namen, definite Deskriptionen, Prädikate, Sätze); in der (c) Modallogik in der Begriffsanalytiziät (strikte Universalität nomologischer Konditionale); in der (d) Semantik durch die Analyse der Zuordnungsfunktionen für Sätze, Prädikate, Namen in der Mögliche-Welten-Semantik; in der (e) Pragmatik durch die Untersuchung performativer Modi und Kontexte. Gochet: For and against universals. In: Dascal/Gerhardus (eds.) a.a.O. 1996, 873—880, v.a. 875, bietet einen guten Überblick über die hier einschlägigen kognitiven Repräsentationen und Operationen, deren angemessene objektsprachliche Erfassung und metatheoretische rationale Kontrolle zur Diskussion steht. Vgl. parallele Überblicke bei Carnap: Meaning and Necessity, 2. Aufl. Chikago 1956, 1—7; Seebohm a.a.O. 1984, 184—244, und Quine: Wort und Gegenstand, Stuttgart 1998 [1960], 275—330. Eine aktuelle Einführung liegt vor von dem Bonner Logiker und Wissenschaftstheoretiker R. Stuhlmann-Laeisz: Philosophische Logik, Paderborn 2002.
Zu Intentionalität und Intensionalität findet sich folgende bündige Orientierung bei Searle: Intentionality. In: Dascal/Gerhardus a.a.O. 7.2, 1996, 1336: (1) „Mental states can be either intentional or non-intentional, and mental states of both types can be either conscious or unconscious.“ (2) „Principle I. Intentionality-with-a-t is simply that property of the mind by which mental states are directed at or about or of objects and states of affairs in the world.“ (Searle (1996, 1342) (3) „Principle II. Intensionality-with-an-s is that property of linguistic entities, such as sentences and statements, by which they fail to satisfy certain tests for extensionality.“ (Searle (1996, 1342), vgl. Bealer/Mönnich a.a.O. 1989, v.a. 137—138). (4)
Die wichtigsten und gebräuchlichsten Proben auf Extensionalität sind zwei. Einmal die wechselseitige Ersetzbarkeit oder Substitutierbarkeit koreferentieller Ausdrücke ohne Beeinträchtigung des Wahrheitswerts, und zweitens die Existenzeinführung. Zur ersten Probe ein Beispiel Searles (1996, 1343): Die Sätze (a) „Heinrich glaubt, dass Berlin die Hauptstadt Österreichs ist“ und (b) „Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands“ referieren auf dasselbe Objekt: Berlin. Aber die beiden Ausdrücke sind nicht wechselseitig ersetzbar. Denn wir können nicht (a) durch (b) ersetzen: „Heinrich glaubt, dass die Hauptstadt Deutschlands die Hauptstadt Österreichs ist.“ Zur zweiten Probe (vgl. Searle ebd.): Der wahre Satz „Nicky wünscht, dass Santa Claus an Heiligabend kommt.“ wird bei Existenzeinführung falsch: Es gibt ein x, nämlich Santa Claus und für alle x gilt der Satz: " x (Nicky wünscht, dass x an Heiligabend kommt).
Es gilt: „Descriptions of intentional-with-a-t states are characteristically intensional-with-an-s descriptions.“ Der Grund ist, dass es sich normalerweise um generelle mentale Überzeugungen oder habituelle Einstellungen und Wünsche handelt (Searle nennt sie „intentional states“) und diese nicht unmittelbare aktuelle Wahrnehmungen oder Handlungen, sondern mittelbare mentale Repräsentationen sind. Aussagen wie „Klaus glaubt, dass die Atomenergie nützlich ist“ sind wahr ohne Bezugnahme auf die reale äußere Welt und sind ihre eigene Wahrheitsbedingung. Aber es gilt dann selbstverständlich auch: „Like any representation, they can fail to be satisfied.“ (Searle (1996, 1343) Das häufige gemeinsame Auftreten von Intentionalität und Intensionalität beruht aber auf keiner notwendigen inneren Verknüpfung (vgl. Searle 1996, 1342—1344). Es gibt ungezählte intentionale Sachverhalte, die schlicht extensional sind. Das von Searle gebrauchte Beispiel ist: „Cäsar überquerte den Rubikon.“ Insbesondere gilt diese Extensionalität für unmittelbare aktuelle Wahrnehmungen, Gedächtnisinhalte und intentionale Handlungen, die individuelle raum-zeitliche mentale Ereignisse (intentional events) sind, zu deren Wahrheitsbedingung die reale, kausale Verursachtheit oder Verursachung (bei Handlungen) gehört (vgl. Searle (1996, 1339—1342), und Seebohm (1984, 243—244)).
Die klassische formalisierte Logik deckt nun wie ausgeführt nur eine geringe Teilmenge der genannten Funktionen und Gegenstandsbereiche der Kognition ab (vgl. Seebohm a.a.O. 1984, 144—183; McDermott: A Critique of Pure Reason. In: Computational Intelligence 3 (1987), 151—160; Searle: Sprechakte, Frankfurt 1971 und a.a.O. 1996; Anzenbacher a.a.O. 1989, 172—182; Kutschera: Die falsche Objektivität, Berlin/New York 1993; Müller a.a.O. 1995; Bealer/Mönnich a.a.O. 1996; Meggle/Siegwart a.a.O. 1996; Quine a.a.O. 1998, 275—475. Drew McDermott (1987) ist eine programmatische Streitschrift A critique of pure reason eines führenden Vertreters der Künstlichen-Intelligenz-Forschung, über Leistungsgrenzen und Ineffizienz der starren formalistischen Konsequenzlogik angesichts der Herausforderungen durch die zeitliche und epistemische Dynamik menschlicher Kognition.
'Parasitäre' intensionale Logik
In dieser Lage versuchten die Vertreter der formalisierten Logik zunächst ihr extensionales, formalistisches Instrumentarium schlicht und einfach – Meggle/Siegwart (1996) nennen dies treffend „additiv“ oder „parasitär“ – auf diese neuen Dimensionen auszuweiten. Was so seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entsteht, ist die nachklassische formalisierte Logik (auch: nachklassische intensionale oder modale Logik) als ein universeller syntaktischer und semantischer Formalismus für alle Bereiche der Kognition (vgl. Seebohm 1984, 184–244). Dieser Versuch einer extensionalen Formalisierung der Gesamtkognition erfolgt einmal unter possibilistischem, kohärenztheoretischem Vorzeichen, im Ausgang von begrifflichen Propositionen: Mögliche-Welten-Semantik, entwickelt von Kripke (intensionale Logik), Hintikka (epistemische Logik), Prior (prozesuale Tempuslogik). Zum anderen unter aktualistischem, korrespondenztheoretischem Vorzeichen, im Ausgang von referentiell-realen Sachverhalten: Situationssemantik, entwickelt von Barwise/Israel/Perry. [Foto rechts: Der Logiker Saul Aaron Kripke, *1940, entwickelte die Semantik der Modallogik]
Vgl. Garson: Quantification in Modal Logic. In: Gabbay, D./Guenthner, F. (Hrsg.) Handbook of Philosophical Logic II, Dordrecht/Boston/London 1984, 249—307; Bealer/Mönnich a.a.O. 1989; Müller a.a.O. 1995; 215—271; Buszkowski: Philosophy of language and logic. In: Dascal / Gerhardus et al. (Hrsg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung 7.2, Berlin/New York 1996,1603—1621; D. Jacquette / D. Gabbay / J. Woods / P. Thagard (eds.): Philosophy of Logic, Amsterdam 2007.
Die nachklassische [intensionale/modale] formalisierte Logik und auch die Kognitionswissenschaft (als technisches Pendant der logischen Theorie der Kognition) beabsichtigt so die logische Analyse und Einbeziehung aller Leistungen und Gegenstandsbereiche der Kognition in einem universellen Formalismus (vgl. Seebohm (1984, 184—244); Gabbay (1994); Müller (1995, 215—323)).
New Logics
Gabbay/Hogger/Robinson (Handbook of Logic in Artificial Intelligence and Logic Programming, 4 Bde., 2. Aufl. Oxford 1996) belegen die Anstrengungen der sich der genannten Herausforderung stellenden Logik und Kognitionswissenschaft durch Schwerpunktbildung auf der „formal analysis of human behaviour and environment“, welche einen kombinierten „declarative-deductive approach“ fordere. Das bedeutet: neben bzw. besser: vor die deduktive Konsequenzlogik bestehend aus (a) formaler rekursiver Grammatik und (b) mathematisch idealisierten Deduktionsregeln, tritt die logische Bewältigung der von Ersterer stillschweigend vorausgesetzten und unreflektiert aus Wahrnehmung und Sprache übernommenen (c) Abduktion und Induktion der Datenbasis und deren Speicherung und Strukturierung in der (d) Wissensrepräsentation. Die nachklassische logische Grundlagenforschung der Gegenwart arbeitet somit genau an der Formalisierung von Intentionen und Intensionen in logischen Datenbasen (logical databases), d.h. komplexen, strukturierten Aggregaten von grammatisch wohlgeformten deskriptiven Formeln (declarative units) mit entsprechenden Formationsregeln (knowledge representation formalisms). Dazu tritt die dementsprechende Ausweitung und Differenzierung der konsequenzlogischen Transformationsregeln, sowie die Ausarbeitung von semantischen Entscheidungs- bzw. ableitungssyntaktischen Verfahren für eine entsprechend leistungsfähige Beweistheorie. Vgl. Gabbay / Hogger / Robinson (1996), insbesondere Bd. I, V—VII; 14—21, Seebohm (1984), Müller (1995), Stuhlmann Laeisz (2002). Boolos / Burgess / Jeffrey: Computability and Logic, 5. Aufl. Cambridge 2007. Gabbay: What is a Logical System? In: Gabbay, D. M. (ed.) What is a Logical System?, Oxford 1994, 179—216) formuliert unter dem Namen Labelled Deductive System (LDS) einen allgemeinen Rahmen für das Programm der Neuen Logik (New Logics). Eine jüngste Darstellung ist Gabbay: Sampling Labeled Deductive Systems. In: Jacquette / Gabbay et al. (eds.): Philosophy of Logic, Amsterdam 2007, 742—770. Hier mehr zu LDS:
Analoge ausformulierte Programme zur Formalisierung aller Dimensionen der menschlichen Kognition in einem universellen Formalismus liegen vor von Bealer/Mönnich (1989) und Meggle/Siegwart (1996). Die optimale und plausibelste Strategie scheint – wie im Prinzip auch bei Gabbay – eine pragmatisch interpretierte modale (intensionale) Prädikatenlogik und eine zugehörige Semantik möglicher Welten zu sein. Mögliche Welten sind dann Indexpunkten (entweder Zeitpunkten, oder Ortsangaben, oder Personalpronomen) zuzuordnende Sachverhaltsmengen (Quasiwelten), welche intensionale und konzeptualistische und epistemische Dimensionen integrieren (vgl. Kutschera a.a.O. 1975, 222—261; Garson a.a.O. 1984; Seebohm a.a.O. 1984, 206—208, 221—223). Ein alternatives Programm unter dem Stichwort der „Konvention T“ ohne Rekurs auf die Mögliche-Welten-Semantik wurde von Davidson entwickelt und vertreten. Dabei soll die extensionale klassische formalisierte Logik direkt auf die Umgangssprache angewandt werden. Vorausgesetzt werden muss dabei das Kompositionalitätsprinzip + Extensionalitätsprinzip, d.h. die Bedeutung von Sätzen lässt sich aus den lexikalischen Wortbedeutungen und der Art ihrer syntaktischen Verbindung ohne weiteres und extensional von unten nach oben zusammenbauen (synthetisieren) resp. auflösen (analysieren). Allerdings ist dieses Programm nur bruchstückhaft und mit intensionalen Anleihen realisierbar. Wichtig ist daran aber das allgemeine Bedeutung besitzende korrespondenztheoretische Wahrheitskriterium (Konvention T). Vgl. Davidson: Theories of Meaning and Learnable Languages. In: Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 2001, 3-16; und ders.: Semantics for Natural Languages, ebd. 55—64; Seebohm 1984, 133—143. [Foto oben: Donald Davidson, 1917-2003, UC Berkeley, einer der selbstständigsten und einflussreichsten Logiker des 20. Jh.]
Die wichtigsten Änderungen in dieser Neuen Logik (New Logics) gegenüber der klassischen formalisierten Logik betreffen die für die Konseqenzrelation der klassischen formalisierten Logik (= die sog. Tarski Konsequenz) geforderten Eigenschaften der (1) Reflexivität (Identität von gleichlautenden Formeln in der Annahmenmenge/Datenbasis), (2) Monotonizität (Erweiterung der Datenbasis hat keinen Einfluss auf die bestehenden Wahrheitswerte) und (3) Transitivität (beweisrelevante Theorem-Generierung). Diese sind entweder aufzugeben oder einzuschränken oder zu modifizieren. Die Motivation michtmonotoner Logiken ist die Formalisierung gemeinverständlichen Schließens entsprechend temporalem, d.h. individual- und zeitgeschichtlich wechselndem Wissen. Zentrale Herausforderungen sind dann das (1) Qualifikationsproblem: Die Prognose erfolgt ohne Voraussetzung alles vergangenen Wissens (kontextsensitive Selektion); und das (2) Rahmenproblem: Die Prognose erfolgt ohne Prüfung und Kenntnis der Wahrheitswertverläufe aller Begebenheiten in der Zukunft.
Bei Gabbay/Hogger/Robinson findet sich auch die programmatische Überzeugung, dass die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz die Logik neuen (Anwendungs)dimensionen zuführe, wobei die klassische formalisierte Logik sich als Metatheorie anderer Logiken und von KI (inkl. Abduktion und Wissensrepräsentation) zu denselben analog verhalte wie die Mathematik zur mathematischen Naturwissenschaft (vgl. Gabbay/Hogger/Robinson 1996 I, V; II, 361). Spezifischer Gegenstand von KI ist dann die Wissens- und Datenbasis mit den drei Ebenen: (1) Allgemeines Wissen (kategoriales Wissen); (2) Diskursbereichswissen (Fachwissen); (3) Dialogbezogenes Wissen (Ad-hoc-Wissen) (Schmitz: Computerlinguistik, Opladen 1992, 22—26). KI analysiert diese Wissensrepräsentationen sowohl grammatisch (Syntax und Lexikon) als auch semantisch (Welt- und Expertenwissen) (Schmitz 1992, 141—143) und konstruiert Formalisierungen der Phonetik, Semantik, Syntax, Pragmatik und Metaphorik der natürlichen Sprache in einer entsprechenden mathematischen Notation (Schmitz 1992, 96—154). Spezifischer Gegenstand der KW (und Komputerlinguistik) sind dann die informationsverarbeitenden Algorithmen oder prozeduralen Regeln (Schmitz 1992, 22—26).
Diese Formalisierung der Kognition ist allerdings keine Prinzipientheorie der Kognition und bietet für sich allein lediglich reduktionistische, naturalistische Modelle, auch wenn die Formalisierung als solche eine wertvolle Präzisierung liefert (Seebohm (1984), Bealer/Mönnich (1989), Bealer (Universals. In: The Journal of Philosophy 90 (1993), 5—32), Müller (1995), Kutschera (1993), Meggle/ Siegwart (1996), M. Wolff (2004)). Die Einbeziehung der Sprachlogik und Ausweitung der formalisierten Logik zur nachklassischen intensionalen Logik meint also eine extensionale Formalisierung der Intensionen und keine genuin intensionale Logik.
Fazit: Gegenstand der Neuen Logik (new logics) sind nicht die metatheoretischen Bedingungen und Regeln der Generierung und Handhabung intensionaler kognitiver Leistungen, sondern deren Formalisierung. Die nachklassische Logik der Intensionen ist keine genetische und begriffsanalytische Behandlung der Intensionen, sondern das Unterfangen, dieselben in einem extensionalen Formalismus zur Darstellung zu bringen. Nicht die Formalisierung dieser kognitiven Leistungen, sondern ihre rational kontrollierte Generierung selbst, wird von der formalisierten Logik einschließlich des nachklasssischen universellen Formalismus nicht erbracht.
Die Vorordnung der intensionalen Begiffslogik gegenüber der extensionalen, mathematischen, formalisierten Logik gilt übrigens auch und selbst für den Bereich der sogenannten Fundamentalmetrisierung in den Realwissenschaften: Metrisch-quantitative Begriffe und Gesetze setzen bei Anwendung auf Erfahrung sowohl Merkmalskategorien: klassifikatorische, qualitative Begriffe und Merkmalsträger: empirische Objekte und Vorgänge voraus als auch qualitative Basisgrößen (Länge, Zeit, Masse, Lichtstärke ...) mit jeweiliger induktiver oder definitorischer Basiseinheit / Normal (Meter, Sekunde, Kilogramm, Candela ...). Analoge epistemische Verhältnisse gelten auf der mikrophysikalischen Ebene der Elementarteilchen, Quantenzahlen, Grundkräfte und Felder. Vgl. Popper: Logik der Forschung, 9. Aufl. Tübingen 1989, 36 Anm. 1, und 35—39; Bortz/Döring: Forschungsmethoden und Evaluation, 2. Aufl. Berlin/Heidelberg/New York et al. 1995, 59—70, 127—175, 271—282; Müller a.a.O. 1995.
Priorität der Begriffslogik: Systematisches Argument
Die Neue Logik (New Logics) stellt sich den selben Herausforderungen und thematisiert denselben Gegenstandsbereich wie die kantische Kognitionstheorie als Synthese von transzendentaler kategorialer Grammatik und objektsprachlicher wie metasprachlicher Begriffslogik. Vgl. Sellars [Foto rechts, mit Quine der überzeugendste moderne Kritiker des Empirismus]: Science and Metaphysics. Variations on Kantian Themes, London 1968; Buchdahl: Kant and the Dynamics of Reason. Essays on the Structure of Kant’s Philosophy, London 1992; Westphal: Buchdahl’s „Phenomenological“ View of Kant: A Critique. In: Kant-Studien 89 (1998), 335—352, und La Rocca a.a.O. 1999. Trotzdem ist diese neue Logik der Art nach anders. In Folge ist diese These der sachlogischen Eigenständigkeit und unverzichtbaren Funktion der analytischen Begriffs- und Urteilslogik und der begriffslogischen Metatheorie – wie in der kantischen Theorie der Kognition vorliegend – auch hinsichtlich der nachklassischen intensionalen Logik wenigstens kurz zu umreißen und zu begründen.
Die These ist also: Die nachklassische formalisierte Logik und Kognitionswissenschaft beabsichtigt extensionale Formalisierungen der Begriffslogik, und bietet weder nach Tiefe noch nach Umfang eine angemessene Theorie und Metatheorie der Begriffslogik und Kognition überhaupt (Seebohm (1984, 184—244); Searle (1992) und (1996); Bealer/Mönnich (1989); Müller (1995, 215—323); Meggle/Siegwart (1996); Stekeler-Weithofer (1996), jeweils a.a.O. und Fischer: Drei Grundirrtümer der Maschinentheorie des Bewusstseins. In: Philosophia naturalis 36 (1999), 53–90. Zur informellen Verdeutlichung dieser These über das bereits Gesagte hinaus abschließend folgende Zusammenfasung einer hier einschlägigen zentralen Argumentation betreffs der irreduziblen Systemstelle der Logik kantischen Typs im Vergleich mit der Logik der Gegenwart:
„Intensionale Logik traditionellen Stils setzt ... einen Begriff analytischer Wahrheit und begriffsanalytischen Schließens voraus, der auf vorgegebenen Sinn der Umgangssprache nur insoweit anwendbar ist, als in ihr implizite Prädikatorenregeln angesetzt sind, oder insoweit, als aus der Umgangssprache präzisere Teilsprachen durch explizit vereinbarte Prädikatorenregeln entwickelt wurden [...] Es handelt sich um begriffsanalytische Wahrheiten aber nur, sofern die Prämissen wahr sind auf Grund von vorausgesetzten konkreten Prädikatorenregeln. Sie sind als solche in einer Prädikatenlogik erster Stufe nicht formulierbar, gehören also entweder zu einer Metasprache, oder es muß zur Prädikatenlogik höherer Stufe übergegangen werden.“ (Seebohm 1984, 225—227)
Der Übergang in die Metasprache setzt ohne weiteres einen eigenständigen Bereich der Intensionalen Logik. Ipso facto ergibt sich dann das Fazit: „Die intensionale Logik hat damit einen eigenen Bereich.“ (Seebohm 1984, 227) Dieser Bereich ist der Bereich der Definitions- und Prädikationsregeln: „Eine deskriptive Analyse der Umgangssprache, die im allgemeinsten Sinne logisch ist, d.h. die Voraussetzungen der vernünftigen Rede untersucht muß zur Analyse der Formen von Prädikatorenregeln und Regeln der Definition werden.“ (Seebohm 1984, 160)
Der Übergang in die objektsprachliche Prädikatenlogik höherer Stufe ergibt ebenfalls, dass der Problembestand der intensionalen Logik nicht auf die nachklassische Semantik reduziert werden kann. Wir geben hierzu die argumentative Begründung bei Seebohm (1984) wieder:
„Wird zur höheren Prädikatenlogik übergegangen, um intensionale Logik im engeren Sinne einbeziehen zu können ..., so ergeben sich zunächst technische Schwierigkeiten. Man wird hier, wie bereits in der klassischen Logik, das Auftreten von Antinomien in Kauf nehmen müssen, oder eine Typentheorie zu formulieren haben. Der Preis, der zu zahlen ist, ist derselbe wie in der klassischen Logik. Die Kluft zwischen der Sprache des Formalismus und der natürlichen Sprache wird wieder aufgerissen. Das ist aber gerade das, was der nachklassische Formalismus vermeiden wollte. Es bleibt also nur der Versuch, eine typenfreie Logik zu konstruieren, die Antinomien vermeidet.“ (Seebohm 1984, 227) Die Versuche, der hier vorgelegt wurden, haben aber „Konsequenzen, die unmittelbar zu einer Kritik des Anspruches der nachklassischen Semantik führen, intensionale Beziehungen vollständig zum Ausdruck bringen zu können [...] Damit ergibt sich wiederum, daß der Problembestand der intensionalen Logik nicht auf die nachklassische Semantik reduziert werden kann.“ (Seebohm 1984, 231—233) Diese Konsequenzen sind zunächst, "daß die Geltungsansprüche der nachklassischen Semantik auf bestimmte Formen der Prädikation eingeschränkt werden, dann aber auch, daß bei dieser Einschränkung eine Unterscheidung eine Rolle spielt, die zur deskriptiven intensionalen Logik gehört, nämlich die zwischen Abstraktoren und Prädikatoren." (Seebohm 1984, ebd.). Eine ausführlichere fachtechnische Version des systematischen Arguments kann auf dieser Verknüpfung eingesehen werden:
Priorität der Begriffslogik: Ergänzendes Argument
Rekursivität logischer Kalküle
Ein weiterer, mit obigem Argument zusammenhängender Grund für diese Vorordnung der Begriffslogik ist die stets rekursive, induktive Basis deduktiv-formaler Kalküle und zugeordneter semantischer Modelle und jeder Form von komputativer/algorithmischer Informationsverarbeitung. Dies ist ohne weiteres einsichtig zu machen anhand der Semantik der formalisierten Prädikatenlogik (PL) und Aussagenlogik (AL): das Vokabular AL (atomare Sätze [und syntaktische Operatoren]) wird rekursiv definiert aufbauend auf dem Vokabular PL, und das Vokabular PL (Terme und Prädikate [und syntaktische Operatoren]) wird rekursiv definiert aufbauend auf dem Lexikon-Umgangssprache bzw. den impliziten Definitionen der Wissenschaftssprache (= Terme und Prädikate) und den axiomatischen (Hypo)thesen des wissenschaftlichen Modells oder Sprachspiels (= als wahr postulierte Aussagen).
Deduktive Begründungen oder Beweise einerseits der Theoreme/Ausssagen sind somit letztlich immer analytisch auf induktive Beweise rückführbar und angewiesen und diese auf die Voraus-Setzung/Hypo-Thesis von Grundbegriffen bzw. Einheitsträgern bzw. jeweiligem Induktionsbeginn in axiomatischen Elementarsätzen.
Implizite Definitionen sind andererseits rückführbar auf explizite Definitionen (dies besagt in der Mathematik der Definierbarkeitssatz von Beth) und explizite Definitionen setzen rekursive Definitionen voraus, welche schließlich ultimativ nicht definierbare axiomatische Grundbegriffe zur Voraus-Setzung haben: „In jeder Theorie müssen einige Begriffe undefiniert bleiben. Man nennt sie Grundbegriffe oder Eigenbegriffe, im Englischen primitives oder basic concepts.“ (Vollmer: Evolutionäre Erkenntnistheorie. Angeborene Erkenntnisstrukturen im Kontext von Biologie, Psychologie, Linguistik, Philosophie und Wissenschaftstheorie, 3. Aufl. Stuttgart 1983, 26) Auch hier mündet der rekursive Rückgang in eine Bedeutungstheorie und in der komplementären semantischen Kompetenz des Benutzers des Systems: „Every acceptable comprehensive theory of the world is committed to the existence of intensional entities.“ (Bealer/Mönnich 1989, 135)
Wissen von Intensionen
„Der philosophischen Frage, was Intensionen sind, kann zwar ausgewichen werden mit dem Hinweis darauf, daß allein das extensionale Explikat des Intensionsbegriffes von Interesse sei. [...] In der Philosophie der Logik ist eine solche Auskunft nicht annehmbar. Es wird von Beginn an vorausgesetzt, daß Intensionen in irgendeiner Weise gewußt werden müssen, bevor sie auf Gegenstände in möglichen Welten [= möglichen Sachverhaltskontexten] bezogen werden. Um die Form dieses Wissens geht es.“ (Seebohm 1984, 238)
Der Lingualismus beansprucht hier entweder die extensionale Formalisierung aller Intensionen als materiale ideale Gehalte und gibt deren Klärung in sich an die Psychologie ab, oder aber er bestreitet dies genau und deutet Intensionen als nichtextensionale sprachliche Konvention. Der logische Realismus übernimmt entweder letztere konventionalistische Sicht oder erklärt Intensionen durch eine intellektuelle Anschauung. Der Konzeptualismus transzendentaler, kantischer Form geht geradezu von Intensionen, von der intensionalen Logik, aus, verstanden als negativer Kanon des Gegenstandsbezugs qua intensionale begriffliche Konsistenz von Begriffslagen (logische Möglichkeit). Ein positiver, extensionaler Gegenstandsbezugsrahmen wird durch die transzendentale Logik angegeben – durch Schematisierung der logischen Kategorien in Hinsicht bestimmter Anschauungsformen (transzendentale Möglichkeit). Beide konstituieren im Bereich dieser Schematisierung mögliche Welten (reale Möglichkeit). Seebohm (1984, 241) urteilt, „daß eine Interpretation der nachklassischen Semantik philosophisch von dieser Position aus durchaus möglich ist und nützliche Präzisierungen an die Hand geben könnte.“ – Der Konzeptualismus phänomenologischer Form fasst Gegenstände als Korrelate intentionaler subjektiver Leistungen, also als intentionale Gegenstände. Hier ist der Rahmen der nachklassischen Semantik möglicher Welten als ein Ausschnitt der Mengenlehre, als abstrakte formale Ontologie, zu identifizieren. Diese ist semantisch auf unterschiedliche materiale mögliche Welten als unterschiedliche Erfahrungen unterschiedlicher Umwelten oder unterschiedliche Erwartungshorizonte anwendbar. Rein intensionaler materialer Sinn (Noema) ergibt sich durch die sogenannte eidetische Reduktion und Variation aus der kontextgebundenen Sachverhaltsmeinung: vgl. Seebohm 1984, 238—243; Cocchiarella a.a.O. 1989; Mohanty a.a.O. 1991, und O. Wiegand: Interpretationen der Modallogik. Ein Beitrag zur Phänomenologischen Wissenschaftstheorie, Berlin / Heidelberg 1998.
Rhetorisch-hermeneutische Logikkritik
Die Rekursivität der logischen Grammatik macht sie zu einem ungeeigneten Kandidaten einer globalen und leistungsfähigen Bedeutungstheorie. Bedeutung ist nicht nur eine Funktion von elementaren Grundtermen und deren molekularen wahrheitswertfunktionalen Zusammensetzungen als einer starren Konvention: Kompositionalitätsprinzip. Sondern Bedeutung ist auch eine Funktion der (a) semantischen Vagheit und (b) metaphorischen Polyvalenzvon Begriffen, (c) des Ganzen von Sätzen, (d) der sie einbettenden Theorie und (e) des pragmatischen Kontextes (vgl. Bealer/Mönnich a.a.O. 1989; Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 6. Aufl. Tübingen 1990[1960], 418—422, 462), Churchland a.a.O. 1992, 139—151, 255—279, 281—295; Müller a.a.O. 1995; Meggle/Siegwart a.a.O. 1996; Stekeler-Weithofer a.a.O. 1996. Dies ist die Standardkritik der Hermeneutik gegen die formale und formalisierte Logik. Deswegen gehört es zum zentralen Programm der Hermeneutik, die früher oder später auftretenden Antinomien nicht technisch einzuklammern und zu tabuisieren, sondern positiv zu akzeptieren und weiterzudenken (dialektische Methode). Von Kutschera, der engagiert Montagues, auf dem Kompositionalitätsprinzip beruhende Logische Grammatik der natürlichen Sprache rezipiert, formuliert etwa als abschließende Reserve, dass es dennoch „bisher keine intuitiv wirklich befriedigende und technisch ausgearbeitete Behandlung des Bedeutungsbegriffs“ in der nachklassischen Logik gibt (Kutschera a.a.O. 1975, 259, vgl. ders.: Einführung in die intensionale Semantik, Berlin / New York 1976).
Gegen die formale Logik steht und stand deswegen in der Antike, im Humanismus und im deutschen Idealismus von Anfang an eine logikkritische Front aus Rhetorik, spekulativer Dialektik und Hermeneutik. Noch stärker war diese Front gegen die formalisierte Logik seit Frege. Formale Logik wird in dieser Tradition als nebensächliche Randdisziplin gesehen, ohne entscheidenden Wert weder für die umgangssprachliche Argumentation noch für wissenschaftliches und philosophisches Denken. Die Rhetorik betonte stets: Die materiale Topik [Sachanalyse], nicht die formale Topik [Formanalyse] ist Organon des Denkens, der Argumentation und Erkenntnisfindung. Die spekulative Dialektik des deutschen Idealismus, insbesondere bei Fichte und Hegel, kritisierte in ähnlicher Weise die formale Logik als veräußerlichtes, uneigentliches Denken. Wirkungsgeschichtlich ist diese spekulative Dialektik auch nach dem Scheitern ihrer Systementwürfe präsent in der Lebensphilosophie bzw. im Existentialismus (Heidegger) und in der philosophischen Hermeneutik in vielen Spielarten einer hermeneutischen Dialektik (Gadamer). Außerhalb dieser Wirkungsgeschichte kommen die moderne wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtete Wissenschaftstheorie (Kuhn, Feyerabend, Friedman) und die Philosophie der natürlichen Sprache (Strawson, Grice) zu gleichlautenden Kritiken (vgl. Seebohm 1984, 9—18). [Foto oben: Paul Feyerabend, 1924—1994, UC Berkeley, ETH Zürich, Kritiker der Verabsolutierung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Methode]
Hegel'sche Dialektik als Intensionale Logik
Bekanntlich setzt hier auch der Anspruch der hegelschen Dialektik ein, die eigentliche wissenschaftliche Formulierung der intensionalen Logik zu sein (vgl. Seebohm: The Grammar of Hegel’s Dialectic. In: Hegel-Studien 11 (1976), 149—180 und a.a.O. 1984, 73—79, 237—238; Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie: die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, Paderborn 1992). Dass zum einen die Dialektik im antiken und scholastischen Verständnis (als Wissenschaft des Denkens) tatsächlich für die hier in Rede stehenden Kompetenzen als einschlägige wissenschaftliche Disziplin angesprochen werden muss, steht außer Frage. Dass zum anderen die Dialektik des deutschen Idealismus, auch und speziell Hegels, methodologisch damit nicht identifiziert werden kann, kann hier nur summarisch erwähnt bzw. postuliert werden. Von Hegels Wissenschaft der Logik gilt zwar: It „can be characterised as a grammar of explication of meaning, i.e. as a sytem of predicator rules, a hermeneutical logic.“ (Seebohm 1976, 151) Auch ist Hegels Unternehmen durchaus motiviert durch die traditionelle begriffslogische Metatheorie, die
„einen höheren Begriff von dem Denken [hatte], als es in der neueren Zeit gang und gäbe geworden ist. Jene legte nämlich zugrunde, daß das, was durchs Denken von und an den Dingen erkannt werde, das allein an ihnen wahrhaft Wahre sei [...] Diese Metaphysik hielt somit dafür, daß das Denken und die Bestimmungen des Denkens nicht ein den Gegenständen Fremdes, sondern vielmehr deren Wesen sei oder daß die Dinge und das Denken derselben ... an und für sich übereinstimmen“ (Hegel: Wissenschaft der Logik I (hrsg. v. E. Moldenhauer u. K. M. Michel), Frankfurt/M. 1993 [1812/16], 38).
Und: „Es liegt überhaupt bei dem Gebrauche der Formen des Begriffs, Urteils, Schlusses, Definition, Division usf. zugrunde, daß sie nicht bloß Formen des selbstbewußten Denkens sind, sondern auch des gegenständlichen Verstandes.“ (Hegel 1993 [1812/16], 45)
Programmatisch explizit: „Die objektive Logik tritt damit ... an die Stelle der vormaligen Metaphysik, als welche das wissenschaftliche Gebäude über die Welt war, das nur durch Gedanken aufgeführt sein sollte“ und besonders ist es „unmittelbar die Ontologie, an deren Stelle die objektive Logik tritt, – der Teil der Metaphysik, der die Natur des Ens überhaupt erforschen sollte“ (Hegel 1993, 61). Allerdings ist diese programmatische Kontinuität nur eine äußerliche und programmatische, keine sachliche und methodologische.
Was darüber hinaus die entscheidende systematische Frage nach der Leistungsfähigkeit der hegelschen objektiven Logik (= Logik des Begriffs) und dialektischen Methode angeht, so soll hier gleichfalls nur die andernorts differenziert nachzuweisende These formuliert werden, dass systemimmanente Defizite gerade das beabsichtigte Denken der Dinge im gegenständlichen Verstand verunmöglichen (vgl. Seebohm (a.a.O. 1976, insbesondere 177—180). Maßgeblich für die Nichtidentität der Dialektik der Tradition und der Dialektik Hegels ist Beierwaltes: Platonismus und Idealismus, Frankfurt/M 1972, 154—187. Gadamer (a.a.O. 1990, 361—375, 472—478) bringt gleichfalls zur Evidenz, dass und wie der dogmatische Absolutheitsstandpunkt des Wissens in der hegelschen Dialektik sachlogisch Sinn und Funktion der Dialektik zerstört. [Bild rechts: G. W. F. Hegel, 1770—1831, Gemälde v. Jakob Schlesinger]
Semiotik und Phänomenologie zu Intension und Extension
Zeitgleich zur Logik der Frege-Russell-Tradition entstanden zwei moderne einflussreiche Schulen, die das gesamte Themengebiet der Logik der Tradition bearbeiteten und aktualisierten, ohne jedoch zunächst in der öffentlichen Wahrnehmung die Hegemonialstellung der mathematischen, formalisierten Logik in Frage stellen zu können. Diese beiden Schulen waren und sind die von Ch. S. Peirce in teilweisem Rückgang auf die Scholastik begründete Semiotik und die von E. Husserl ebenfalls unter Berufung auf die Tradition, insbesondere Leibniz, Bolzano und Brentano entwickelte Phänomenologie (vgl. Seebohm a.a.O. 1984), Honnefelder (Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus –Suárez – Wolff – Kant – Peirce), Hamburg 1990, 382—402), Bochenski (a.a.O. 1993), Müller (Logik, Zeit und Erkennen. Zum Problem der formalen Darstellung der Dynamik und der Temporalität des Erkennens bei Charles S. Peirce, in zeitgenössischen Logiken und in der Kognitionswissenschaft, Diss. Mainz 1995 [zugleich: (1999) Die dynamische Logik des Erkennens von Charles S. Peirce, Würzburg]), Deely (Frontiers in Semiotics, Bloomington 1986, 5—34)). Hier wurde immer deutlich gemacht, dass etwa die deskriptive Begriffslogik und die abstraktive Methode Priorität vor der deduktiven formalisierten Logik habe (vgl. Deely a.a.O. 1986, 5—34, bes. 31). Müller (a.a.O. 1995, 320—323) arbeitet auf, wie sehr insbesondere Peirce das Problembewusstsein des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts vorweggenommen hat. Honnefelder (a.a.O. 1990) zeigt, dass Peirce dies im bewussten Anschluss an die Tradition der Scholastik tat.
Speziell von phänomenologischer Seite liegen Ansätze vor, die die substantiellen husserlschen Beiträge zu einer Identifizierung, Differenzierung und Formalisierung der Gesamtkognition weiterentwickeln und mit den neueren Entwicklungen verrechnen. Vgl. Tragesser: How Mathematical Foundation all but come about: A Report on Studies Toward a Phenomenological Critique of Gödel’s Views on Mathematical Intuition. In: Seebohm, Th. M./ Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) Phenomenology and the Formal Sciences, Dordrecht 1991, 195—213; Mohanty: Husserl’s Formalism. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) ebd. 1991, 93—105; Haddock: On Husserl’s Distinction between State of Affairs (Sachverhalt) and Situation of Affairs (Sachlage). In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) ebd. 1991, 35—48; Smith: On Situations and States of Affairs. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) ebd. 1991, 49—57; Null: Remarks on Modalization and Modalities. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) ebd. 1991, 79—91; Rota: Mathematics and the Task of Phenomenology. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) ebd. 1991, 133—147; Wiegand: Phenomenological-Semantic Investigations into Incompleteness. In: Wiegand, O. u.a. (Hrsg.) Phenomenology on Kant, German Idealism, Hermeneutics and Logic. Philosophical Essays in Honor of Thomas M. Seebohm, Dordrecht/Boston/London 2000, 101—132. Allerjüngste Entwicklungen der formalisierten Logik und Mathematik greifen umgekehrt auf die produktive Leistungsfähigkeit husserlscher Forschungen, etwa im Bereich der Mereologie, zurück. Vgl. Mohanty (1991), Tragesser (1991), Willard (Sentences which are True in Virtue of Their Color. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) a.a.O. 1991, 225—242; Drummond: Willard and Husserl on Logical Form. In: Seebohm, Th. M./Føllesdal, D./Mohanty, J. N. (eds.) ebd. 1991, 243—255; Wiegand (a.a.O. 2000)).
Es wurde in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam gemacht, dass die im öffentlichen Bewusstsein verankerte Zuordnung von formaler Logik und Mathematik zur positivistischen, formalistischen, analytischen Philosophie weithin freie Phantasiebildung und Vorurteil ist. Die bekannten modernen Vordenker der formalisierten Logik und Mathematik (Frege, Hilbert, Brouwer, Weyl, Gödel) identifizieren sich viel stärker mit Plato, Kant und Husserl (Mohanty a.a.O. 1991, 93—105).
Kognitionswissenschaft: Simulation logischen Denkens
Es wurde im Vorhergehenden bereits darauf hingewiesen: Zur Formalisierung des Denkens in der Logik gesellt sich in der Gegenwart die Simulation des Denkens in der Kognitionswissenschaft (KW) als angewandter Logik oder Semiotik. Hierzu ist im Grundsätzlichen dasselbe zu sagen wie zur nachklassischen formalisierten Logik. Ansonsten ist auf das Menu: Kognitionswissenschaft zu verweisen. Deswegen hier nur diese kurze Zusammenfassung: Die KW verwendet fast ausschließlich das Symbolverarbeitungs-Paradigma (Müller a.a.O. 1995). Konzeptualistische Propositionen und/oder lingualistische Sätze und/oder imaginale , spatiotemporale (analoge) Bilder werden als Wissensrepräsentationen oder Datenbasen nach formalen Regeln manipuliert bzw. verarbeitet.
Der Verarbeitungsprozess wird dabei entweder logisch verstanden: als nachgebesserte deduktive Standardlogik (Logik der Circumscription, Defaultlogik, Autoepistemische Logik); oder er wird linguistisch verstanden: als angeborene mentale Sprache des Denkens in Isomorphie zur Realität (Fodor), und/oder diagrammatisch als Konstruktion und Manipulation mentaler Modelle oder Schemata (Johnson-Laird). Zu Letzterem: Johnson-Laird (Mental models, Cambridge 1983) und Johnson-Laird, P. N./Byrne, R. M. J. (Deduction, London 1990) entwickelt dazu eine metapragmatische Theorie von sieben angeborenen Prozeduren oder Operationen, die objektsprachliche physische Perzeptionsmodelle und höherstufige konzeptuelle Modelle erstellen und verarbeiten (vgl. Müller a.a.O. 1995, 288—294). Das Recht von Johnson-Lairds Mental-Model-Theorie liegt darin, das faktische und allgemeine kognitive menschliche Verhalten und Vorgehen in Wissensrepräsentation, Problemlösen und Schließen zu erfassen, das nicht automatisch mit der normativen und abstrakten Rationalität der Logik, Linguistik und Mathematik übereinkommt (vgl. Eysenck/Keane: Cognitive Psychology. 5. Aufl. Hove and London-Hillsdale, 1992, 442, 453).
Es finden sich auch gemischte Ansätze, die die diagrammatische (mentale Modelle) und algebraische (logische Formeln) Dimension verbinden (etwa Gärdenfors: Conceptual spaces as a basis for cognitive semantics. In: Clark, A. et al. (eds.): Philosophy and Cognitive science: Categories, Consciousness and Reasoning, Dordrecht/Boston/London 1996, 159—180 und ders. Conceptual Spaces. The Geometry of Thought, Cambridge, MA 2000), vgl. den Überblick bei Müller (1995, 297—319)).
In der Regel wird der Geist dabei interpretiert als ein informationsverarbeitender Automat oder Medium. Die KW setzt so stillschweigend eine explizit erzeugte Wirklichkeit voraus, die analysierbar ist in kontextunabhängigen Daten – ohne folgende vorgängige Leistungen zu behandeln: (A) Deskriptive Strukturanalyse (Kategorialanalyse). (B) Verstehende Interpretation (Hermeneutik): Operationen in Symbolsystemen sind zwar auch bedeutungssensitiv (Kutschera Die falsche Objektivität, Berlin/New York 1993), aber nicht im normalen Vollsinn. Erst die semantische Kompetenz des Benutzers eines Systems interpretiert und fixiert den Inhalt der Zeichen. Die Interpretation von Zeichen und die Ermittlung ihrer Wahrheit besteht nicht im mechanischen Dekodieren einer Zeichenkette, sondern im korrekten Verständnis des Bezeichneten und dessen systematischer Einbettung in vorausgesetzten Selbstverständlichkeiten (Schmitz: Computerlinguistik, Opladen 1992, 180, 183, 207—212), Bealer a.a.O. 1993; Müller a.a.o. 1995; Searle: The Rediscovery of the Mind, Cambridge/Mass. 1992; Searle: Intentionality. In: Dascal/Gerhardus a.a.O. 1996, 1336—1345). (C) Vorwissen (Präsuppositionslogik). (D) Kreative Hypothesenbildung (Abduktionslogik). (E) Empirische Hypothesenbestätigung (Induktionslogik) (Müller 1995, 311–314). (F) Pragmatik und Rhetorik: Argumentation ist eine kommunikative Handlung. Argumentieren hat ferner primär und erstrangig nicht formale Topoi, sondern materiale Topoi zur Basis (Müller a.a.O. 1995; Toulmin: Rationality & Reasonableness. From Propositions to Utterances. In: Revue Internat. de Philosophie 50 (1996), 297—305; Hintikka: Strategic thinking in Argumentation and Argumentation theory. In: Revue Internat. de Philosophie 50 (1996), 92—130). (G) Phänomenologie: Wahrnehmung folgt nicht dem behavioristischen Reiz-Reaktions-Paradigma, sondern ist das Resultat von Selektion, Identifikation, Organisation und Konstruktion. Wahrnehmung ist ferner nicht nur symbolverarbeitend, sondern hat subsymbolische, unbewusste, intuitive neuronale und phänomenonale Prozesse zur Voraussetzung. Dies ist die Vorkonstitution hochstufiger symbolverarbeitender und regelgeleiteter Kognition in passiver Synthesis. Dem trägt allerdings der sogenannte PDP-Ansatz der KW Rechnung: Parallel verteilte Informationsverarbeitung (Parallel-Distributed-Processing) thematisiert diese subsymbolische Mikroebene der Kognition. Im Allgemeinen ist dieser letzte Punkt der notwendigen Kooperation von symbolischer und subsymbolischer Informationsverarbeitung heute immer stärker Allgemeingut der KW (vgl. Churchland: A Neurocomputational Perspective. The Nature of Mind and the Structure of Science, Cambridge (Mass.)/London (Engl.) 1992, 139—151, 255—279, 281—295); Müller a.a.O. 1995, 314—319).
Im Fazit: Auch die KW als Simulation oder Reproduktion des Denkens ist nicht dasselbe wie eine Definition oder Theorie der Kognition (Müller 1995).
Eine Symbiose der oben vorgestellten Hegel'schen Dialektik und Bewusstseinsphilosophie mit der hier in Rede stehenden Kognitionswissenschaft findet sich in Gotthard Günthers reflexionslogischer Morphogrammatik und Polykontexturaler Logik (PKL). Gotthard Günthers (1900—1984) intellektuelle Biographie speist sich aus zwei Zuflüssen: (I) Der Grundstrom kommt aus dem Deutschen Idealismus und Platonismus, namentlich von Neuplatonismus, Leibniz, Kant, Fichte, Schelling und v.a. Hegel. (II) In diesen mündet ab der postdoktoralen Phase ein Zustrom aus den Gebieten Informatik, biologische Systemtheorie, Kognitionswissenschaft: 1935–1937 wissenschaftlicher Assistent des biologischen Anthropologen Arnold Gehlen an der Universität Leipzig, 1960—1969 Freundschaft und Kooperation mit Warren S. McCulloch, einem der Begründer der Kybernetik und modernen Neuroinformatik, 1961—1972 Kooperation mit Heinz von Förster und Forschungsprofessur an dem von diesem geleiteten Biological Computer Laboratory (BCL) der University of Illinois. Ab 1972 ist Günther wieder zurück in Deutschland (Universität Hamburg) und beeinflusst Informatiker, Soziologen und Philosophen wie Helmut Schelsky, Karl Steinbuch, Martin Heidegger, Niklas Luhmann, Peter Sloterdijk, Peter M. Hejl.
Eine informelle Skizze und kurze Diskussion dieses Ansatzes bietet das folgende Skript: