Dr. phil. Paul Natterer

Natterer: Philosophie der PhysikDas Menu "Ontologie" ist in einer früheren Version als Buchpublikation erhältlich. Es bildet Kapitel 6: 'Wissenschaftstheoretische und ontologische Verortung der Physik' von Natterer, Paul: Philosophie der Physik. Mit einem Abriss zur physikalischen Grundlagenforschung [= Edition novum studium generale 3], Norderstedt 2010, 152 S. Mit 2 Farbabbildungen. Verkaufspreis 21,90 € [ISBN 978-3-8391-7266-7]

 

 

Vorbemerkungen

Ontologie hat heute viele Bedeutungen. Oft verbindet man damit nur die Einteilungen oder Klassifikationsschemata (Begriffsbäume, Taxonomien) eines bestimmten Gegenstandsbereiches wie z.B. der Gesteinskunde (Petrologie: Gesteinsarten) oder der medizinischen Gewebelehre (Histologie: Zelltypen).

In der Informatik, im Teilbereich der Künstlichen Intelligenz, ist Ontologie die Wissensrepräsentation in Semantischen Netzen.

In der formalisierten mathematischen Logik wird die Theorie der Referenz (auch: extensionale Semantik) als Ontologie bezeichnet. Ontologie ist dann die Benennung logischer Terme und Prädikate und ihre Zuordnung zu Prädikatklassen der realen Welt resp. alternativer möglicher Welten (extensionale Bezugnahme) sowie die Prüfung der Wahrheitswerte logischer Aussagen-Verknüpfungen (Wahrheitswertesemantik).

In der Philosophie wird Ontologie als allgemeine Metaphysik gefasst, die die Frage beantwortet, was das Sein letztlich und eigentlich ist, welche Arten von Sein es gibt und welche begrifflichen Bedingungen, reale Ursachen und universelle Eigenschaften alle seienden Dinge haben.

Die wissenschaftliche Behandlung dieser Fragen geht auf die Anfänge der griechischen und indischen Philosophie zurück und erfuhr ihre erste große Systematisierung bei Platon und Aristoteles. Eine weitere große Systematisierung entwickelte der Neuplatonismus in der Schlussphase der Antike, insbesondere Plotin und Proklos. Ontologie umfasst hier stets die gesamte Metaphysik, d.h. auch und sogar vorrangig das Absolute oder Gott. Dies blieb so bis zu Franz Suarez (1548—1617), der die unbestritten umfangreichste und brillanteste Systematisierung der Ontologie / Metaphysik vorlegte, welche existiert: Disputationes metaphysicae (1597). Er überblickt in historisch-philologischer Präzision und sachlicher Professionalität alle einschlägigen Denker und Schulen in der Antike, in der arabischen, jüdischen und christlichen Scholastik und in der Renaissance.

Suarez' orientiert sich bevorzugt an Thomas Aquinas, der im 13. Jh. gegen große Widerstände Aristoteles' Ontologie bzw. Metaphysik neuerdings als überzeugendsten Bezugsrahmen durchsetzte. Dessen unabhängigen Geist, universale Bildung, methodische Systematik und stilistische Klarheit wertet und adaptiert Suarez als unverzichtbare Schlüsselqualifikationen. In der Sache reflektiert und aktualisiert Suarez auch durchgängig Johannes Duns Scotus, den zweiten sehr einflussreichen Aristoteliker der Hochscholastik (siehe in Folge). Hugo Grotius, wie Suarez — mit seinem zweiten epochalen Werk De legibus — einer der Gründungsvater des modernen Natur- und Völkerrechtes sowie des Verfassungsrechtes, der Volkssouveränität und Wirtschaftsethik, charakterisiert Suarez als "Philosophen von einer Tiefe, die kaum ihresgleichen hat". Grotius' niederländischer Landsmann und Kollege Heerebord an der Universität Leiden rezipiert und reproduziert in seinen Handbüchern zur Philosophie Aquinas und v.a. Suarez als "Fürsten aller Metaphysiker".

Anhand von Heerebord und Burgersdijk, der ebenfalls Suarez bietet, studiert wiederum Spinoza die Metaphysik. Auch an allen protestantischen Universitäten Deutschlands mit lediglich zwei Ausnahmen ersetzt Suarez Melanchthon als Referenzautor: Leibniz wie Christian Wolff und auch Kant werden im Geist und der Tradition Suarez' das philosophische Handwerk erlernen. In Frankreich ist Descartes ein in der Wolle gefärbter Suarezianer, der in einer bekannten Sentenz "seinen Lehrern die Ehre gab, dass es keinen Ort in der Welt gibt, wo meiner Überzeugung nach die Philosophie besser gelehrt wird als in La Flèche", dem von König Heinrich IV. begründeten führenden Jesuitenkolleg Frankreichs mit weltweiter Ausstrahlung: "Jétais dans l'une des plus célèbres écoles de l'Europe — Ich war in einer der berühmtesten Schulen Europas" (Discours de la méthode, 1631, 10).] Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Francisco Suarez der einflussreichste Metaphysiker und Rechtswissenschaftler der Neuzeit ist. Seine intellektuelle Potenz zeugt eine neue Epoche und seine Exzellenz und Autorität formen konfessionsübergreifend ihre Geschlechter.

Suarez hatte durch die konsequente systematische Gliederung der Metaphysik gegen seine eigene Intention den Ansatzpunkt geschaffen, Ontologie und philosophische Theologie didaktisch und / oder sachlich zu trennen. Eine eigene philosophische Disziplin wird die Ontologie zunächst bei Kollegen Suarez' in der spanischen Wissenschaftskultur des 17. Jh. und dann ausdrücklich und terminologisch auch in der deutschen Schulmetaphysik des 17./18. Jh. bei Christian Wolff.

Eine der verbreitetsten – auf Wolff zurückgehende – Bearbeitungen stammt von Alexander Gottlieb Baumgarten, Halle 4. Aufl. 1757, die Kant seinen Vorlesungen zugrundelegte und als Bezugsrahmen empfahl. Sie ist wieder abgedruckt in der Akademieausgabe der Werke Kants [AA XVII, 19—103: Metaphysica Alexandri Gottlieb Baumgarten — Pars I. Ontologia]. Baumgarten bestimmt die Ontologie als „Grund-Wissenschaft“ oder "allgemeine Metaphysik" (metaphysica universalis) oder auch "erste Philosophie" (philosophia prima): Sie "ist die Wissenschaft der allgemeinsten Bestimmungen des Seins" (scientia praedicatorum entis generaliorum) (Baumgarten: Ontologia § 4). Diese allgemeinsten Prädikate der Dinge sind zugleich die ersten Prinzipien der menschlichen Kognition (§ 5).

Die vorliegende Einführung zur Ontologie wurde von mir für universitäre Lehrveranstaltungen konzipiert. Sie versucht, vom Denkhorizont der Gegenwart aus die Themen der Ontologie eigenständig zu erschließen. Die Erfahrung bestätigte das gewählte Vorgehen als interessant und hilfreich. Dass dieser von der Erkenntnistheorie und Philosophie des Geistes ausgehende Ansatz nicht sachfremd und eigenwillig ist, ergibt sich schon daraus, dass der klassische Referenztext der Ontologie, Aristoteles' Metaphysik, und zwar in der produktiven transzendentalphilosophischen Rezeption Avicennas und Duns Scotus' (und weithin auch Suarez'), Pate steht für Kants Kritik der reinen Vernunft. Vgl. L. Honnefelder: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus Suárez Wolff Kant Peirce), Hamburg 1990. Nicht nur die neuzeitliche Ontologie und Metaphysik hat ausgesprochen erkenntnistheoretischen Charakter, sondern auch Aristoteles' Metaphysik. Das wird oft übersehen, da Letztere "gefühlt" eher als eine Metatheorie der Physik im Bewusstsein steht. Nichts ist falscher. Die Metaphysik des Aristoteles ist nur und genau durch Erkenntniskritik methodisch kontrollierte Ontologie der Substanzen = lebender, erkennender und handelnder Subjekte: (i) Biophilosophie und (ii) Philosophie des Geistes einschließlich der (iii) Theologie als Philosophie des göttlichen Seins, Lebens und Geistes.

Der Inhalt der Metaphysik lässt sich konsistent wie folgt wiedergeben: Ihr Gegenstand ist das, was alle Einzelwissenschaften unreflektiert voraussetzen: das Sein [ihrer Forschungsgegenstände] als Sein und zwar sowohl qua Dasein oder Existenz als auch qua Sosein oder Wesen. Das Sein wird identifiziert als vielschichtiger, analoger Begriff, dessen Prototyp und Vollform die Substanz als selbststängige natürliche Existenz ist, also als biologische oder spirituelle Lebensform. Diese und nur diese Lebensformen sind Substanzen, nach deren Erkenntniskriterien und Realursachen gefragt wird. Erkenntniskriterien sind die universellen (= transzendentalen), speziellen (= kategorialen) und genetischen (= modalen) Grundbegriffe sowie die kognitiven Grundsätze oder Axiome (Identitäts- und Nichtwiderspruchsprinzip, Prinzip des ausgeschlossenen Dritten). Realursachen der Substanzen sind (i) die organisierende Struktur / Form, (ii) der zugrundeliegende Stoff, (iii) die Wirkursache(n) und (iv) der Zweck / Teleologie. Der Fehler der Vorsokratiker war die materialistische Reduktion des Seins auf den Stoff und physikalische Wirkursachen. Der Fehler der Pythagoräer und Platoniker ist die idealistische Identifizierung des prototypischen, substantiellen Seins mit mathematischen Strukturen und begrifflichen Ideen. Archetyp substantiellen Seins und Hochziel endlicher Substanzen ist "Gott, das ewige, beste Lebewesen" (Λ 7).     

Eine Vertiefung der in der Ontologie verhandelten Themen finden Interessierte in den E-Portalen zur Erkenntnistheorie, zur Philosophie der Logik und zur Negativen Theologie sowie in den Aufsätzen Die transzendentale Kausaltheorie (ordo dependentiae) im Tractatus de primo principio des Johannes Duns Scotus sowie Jaegwon Kim über Emergenz und Kausalität des Mentalen in Emergence and Reduction (1992) und Physicalism, Or Something Near Enough (2008).

Basisprinzipien

Prinzip I: (Ich-)Intentionale Struktur des Zuganges zur Realität

Elizabeth Anscombe [PhilWeb]Alle Wahrnehmung, Kognition und Praxis ist die eines Subjekts und seiner Erfahrungs- und Denkformen. Die Intentionalität ist damit der zentrale Schlüsselbegriff zum Verständnis der kognitiven Erfassung und Reflexion von Realität (Ontologie): Ich — erfahre — die Natur (Kant, Brentano, Husserl, Anscombe, Searle, Nagel, Kutschera, Auyang, Gärdenfors). Intentionalität beinhaltet also eine Relation zwischen
(1) der Basisrealität der subjektiven Erfahrung (Ich) mit mentalen Empfindungen, Zuständen und Vorgängen: kognitives Subjekt;
(2) der Realität der objektiven Natur im Medium der sensorischen und begrifflichen Apprehension, kognitiven Konstruktion und mentalen Repräsentation (Erscheinung), d.h. als Gegenstand der objektiven Erfahrung: kognitive Repräsentation und Verarbeitung;
(3) der Realität der objektiven Natur als Sein in sich (Ding an sich), d.h. als offen transzendenter Erfahrungshorizont: kognitives Objekt. [Foto oben: Elizabeth Anscombe, 1919—2001, Schülerin, Nachlassverwalterin und maßgebliche Interpretin L. Wittgensteins. Ihre Monographie Intention (1957) bürgerte dieses Konzept in der analytischen Sprachphilosophie (z.B. in der Sprechakttheorie Searles), Ontologie (z.B. im Indexikalitätskriterium objektiver Erfahrung Perry's, Strawsons und Kaplans), und Ethik (z.B. in der Handlungstheorie Davidsons) ein]

Prinzip II: Drei-Welten-Heuristik

Karl Popper University of Vienna CC BY SA 4.0Dieses Prinzip ist ein Resultat der Grundlagenforschung des 20. Jahrhunderts (Husserl, Frege, Carnap, Popper [Foto links: Büste Universität Wien], Davidson). Die populärste Formulierung des in Rede stehenden Sachverhaltes ist „Die Welt 1, 2 und 3“ K. Poppers:
„Ich glaube allerdings, daß die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, beträchtlich klarer gemacht werden können, wenn wir eine Dreiteilung einführen. Da gibt es zunächst die physische Welt – das Universum physischer Gegenstände – [...]; ich möchte sie ‘Welt 1’ nennen. Zweitens gibt es die Welt psychischer Zustände, einschließlich der Bewußtseinszustände, der psychischen Dispositionen und unbewußten Zustände; diese will ich ‘Welt 2’ nennen. Doch es gibt noch eine dritte Welt, die Welt der Inhalte des Denkens und der Erzeugnisse des menschlichen Geistes; diese will ich ‘Welt 3’ nennen“ (Popper/Eccles: Das Ich und sein Gehirn, 10. Aufl. München/Zürich 1991, 63). Vgl. die „dritte ... Welt der intelligibilia oder der Ideen im objektiven Sinne; es ist die Welt der möglichen Gegenstände des Denkens: die Welt der Theorien an sich und ihrer logischen Beziehungen; die Welt der Argumente an sich“ (Popper, K. R.: Objektive Erkenntnis, Hamburg 1973, 174)

Das Basisprinzip II: Drei-Welten-Heuristik kann grosso modo als Explikation des Basisprinzips (I) Ich-intentionale Struktur des Zuganges zur Realität verstanden werden.

Intentionale Struktur der Kognition (1): Kognitives Subjekt

Der wissenschaftliche Zugang zum kognitiven Subjekt erfolgt sinnvollerweise über eine Theorie des Selbstbewusstseins. Letzere umfasst zum Einen eine Theorie des Bewusstseins (intentionale Empfindung, Wahrnehmung, Denken, Wollen) und zum anderen eine Theorie des Selbst (Ich, Meinigkeit, Person). Basale Formen von Selbstbewusstsein sind dabei unabhängig von Sprache und sprachlicher Repräsentation, entwickeltes höheres Selbstbewusstsein ist abhängig von Sprache. Eine philosophische Theorie des Selbstbewusstseins sollte daher diese Elemente der Subjektivität oder des phänomenalen Ich abdecken und bewältigen: Bewusstsein (unmittelbare Selbstgegebenheit) — phänomenale Erlebnisqualitäten (Qualia) — reflexive Identität (Selbst). Dazu tritt die intentionale Perspektivität (zentriertes Bewusstsein des Erlebnisraums) als Bedingung vollständiger objektiver Erfahrung. Diese Elemente sind irreduzibel subjektiv und daher ist die Subjektivität als Kernstück einer modernen Ontologie und natürlich auch Philosophie des Geistes anzusehen.

Auf dieser Verknüpfung finden Sie eine Wissenschaftshistorische und interdisziplinäre Skizze zur Epistemologie und Ontologie des kognitiven Subjekts. Mehr dazu finden Sie im Menu Philosophie des Geistes.

Intentionale Struktur der Kognition (2): Erfahrung

Die Ebene der Erfahrung ist heute das große Thema der Kognitionswissenschaft. Sie kann als als interdisziplinäre Reformulierung der Erkenntnis- und Erfahrungstheorien der Tradition angesprochen werden. Besonders häufig bezieht man sich dabei auf die kantische Theorie der Erfahrung. Brook (Kant and the Mind, Cambridge 1994) insbesondere arbeitet die Konvergenz zwischen der kantischen Kognitionstheorie und der aktuellen Kognitionsforschung heraus. Kants Kognitionstheorie als „abstract conceptual map of the mind“ sei nicht nur nicht überholt, sondern umfassender und tiefer als zeitgenösssiche Theorien des Geistes (1994, 258). Kant ist in der aktuellen Forschung als der intellektuelle Übervater der Kognitionswissenschaft anzusprechen (1994, 12), die drei zentrale Einsichten der kritischen Philosophie adoptiert hat. Es sind
(1) die epistemologische Unterscheidung und Relation zwischen Begriff und Anschauung;
(2) die methodologische Integration der transzendentalen Argumentation;
(3) das Modell des Geistes als System begriffsverwendender Funktionen zur Manipulation von Repräsentationen (1994, 14—15).
In der Nachfolge Poppers dokumentieren u.a. folgende Denker die Anziehungskraft und Aktualität der kantischen Transzendentalphilosophie für Kognitionswissenschaft, Ontologie und Wissenschaftstheorie, auch und gerade wenn dies im Einzelnen kein sklavisches Kopieren und Beschwören, sondern kritische Auseinandersetzung bedeutet: Butts (Kant and the double Government. Methodology — Supersensibility and Method in Kant’s Philosophy of Science, Dordrecht/Boston/Lancaster John McDowell A Zielinska CC BY 3.01984), Friedmann (Kant and the Exact Sciences, Cambridge/Mass. 1992), Buchdahl (Kant and the Dynamics of Reason. Essays on the Structure of Kant’s Philosophy, London 1992), Sellars (Science and Metaphysics. Variations on Kantian Themes, London 1968, vgl. Sellars: Der Empirismus und die Philosophie des Geistes, Paderborn 1999), McDowell (Mind and World, Harvard 1994), und Falkenburg (Kants Kosmologie: die wissenschaftliche Revolution der Naturphilosophie im 18. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2000). [Foto links: Der aus Südafrika stammende und heute in Pittsburgh lehrende John McDowell. Er ist der Sache nach einer der gegenwärtig meistdiskutierten Denker der Ontologie, der eine Synthese von Platon, Aristoteles und Kant im modernen Denkhorizont anstrebt. Siehe hierzu diese Besprechung]

Hier meine Liste von Eckdaten zu mentaler Repräsentation und Informationsverarbeitung in der kognitiven Architektur der Kritik der reinen Vernunft Kants — als Metatheorie der interdisziplinären Kognitionsforschung der Gegenwart.

Mehr dazu bieten die Portale zur Kognitionswissenschaft und zur Philosophie des Geistes sowie die Seite von Prof. Andrew Brook, langjähriger Direktor des Institute of Cognitive Science (ICS) an der Carleton University Ottawa und Präsident der Kanadischen Philosophischen Gesellschaft. Brook verbindet eine sehr gute Kenntnis der Philosophie Kants mit außerordentlicher interdisziplinärer Kompetenz in klarer, logisch strukturierter Darstellung.

Intentionale Struktur der Kognition (3): Kognitives Objekt

Kognitives Objekt 1 = Welt 1: Physikalisches Universum

(A) Information und Energie: Die Quantentheorie besagt: Die ultimative physikalische Realität ist
— auf dem physikalischen Niveau ein holistisch-virtuelles Quantenuniversum aus Information und Energie (Zustandsraum der globalen Wellenfunktion Ψ / Psi);
— Ihre Gegenstände sind statt Elementarteilchen Relationen, Information, Geist: "Hatte man ursprünglich vermutet, daß das 'Transzendente' im Laufe der Entwicklung der Naturwissenschaft immer weiter zurückgedrängt werden würde, ... so stellte sich nun im Gegenteil heraus, daß die uns so handgreiflich zugängliche materielle Welt sich immer mehr als Schein entpuppt und sich in einer Wirklichkeit verflüchtigt, in der nicht mehr Dinge und Materie, sondern Form und Gestalt dominieren." (Dürr: Das Netz des Physikers, München 2000, 108) — „Theoretische Physiker neigen zum Platonismus: Sie vermuten, dass die Mathematik das Universum so gut beschreibt, weil es an sich mathematisch ist [...] [Die Multiversumtheorie vertritt die Auffassung:] Jede mathematische Struktur entspricht einem Paralleluniversum [...] außerhalb von Raum und Zeit [...] Diese Hypothese kann als eine Form von radikalem Platonismus angesehen werden, denn sie behauptet, dass die mathematischen Strukturen in Platons Ideenwelt in physikalischem Sinne existieren" (Tegmark: Paralleluniversen. In: Spektrum der Wissenschaft 8/2003, 34—45).
— An die Stelle deterministischer Gesetze treten statistische Gesetze, Offenheit, Freiheit, Lebendigkeit: Neben und über dem analytischen rationalen Denken ist die vorrationale holistische Intuition, die existentielle und epistemische Zugehörigkeit zur Gesamtrealität wichtig (Heisenberg, Dürr).
Aktuelle und lokale Realität ist qualitativ vom erkennenden Subjekt abhängig: Die Existenz aktueller distinkter räumlicher Objekte und Eigenschaften sowie deren zeitliche Dauer wird durch empirische Wahrnehmung, und begriffliche Kognition bewusster kognitiver Subjekte generiert (Bohr, Heisenberg, Auyang, Wheeler, Dürr, Rohs, Chalmers). Voraussetzungen (Randbedingungen): Linearität — Lokalität — Limitierte Anzahl von Symmetrien / Invarianzen und damit kategorisierbarer „Teilchenzoo“ und diskrete Individuen (Barrow). Mehr dazu und zur einschlägigen Literatur im Menu: Philosophie der Physik.

Fazit: Definitive Realisierung + qualitative Identifizierung + objektive Lokalisierung und Datierung + sensorische Repräsentation (phänomenale Qualia) der virtuellen Quantenzustände geschieht durch denkende und erkennende Subjekte „(mind over matter“). Heisenberg: Die objektive Außenwelt ist die erfolgreiche Objektivierung eines Ausschnittes der Erlebniswelt des kognitiven Subjekts.

Heisenberg meine liebe li BuchtitelDer Physiker Werner Heisenberg (1901—1976) gehört zu den Naturwissenschaftlern, die unser Weltbild geprägt haben. Ihm gelang der erste Ansatz zur heute gültigen Quantenmechanik [Nobelpreis 1932]. Seine Unbestimmtheits-Relationen gaben den Schlüssel zur physikalisch-erkenntnistheoretischen Deutung dieser neuen Theorie. In der Abhandlung bzw. dem Buchmanuskript Ordnung der Wirklichkeit äußert Heisenberg sich am umfassendsten zum philosophischen und erkenntnistheoretischen Inhalt des Weltbildes der Physik, sodass wir dasselbe in Folge kurz zusammenfassen: "Es ist besonders geeignet, ... einen Einblick in Heisenbergs Denken und seine Persönlichkeit zu geben [...] Heisenberg war nicht nur einer der bedeutendsten Physiker unseres Jahrhunderts, sondern er hatte auch die ausgezeichnete Gabe, diese revolutionären Erkenntnisse und Einsichten, an denen er selbst entscheidend beteiligt war, in einer ... auch einem Nichtfachmann verständlichen Sprache zu vermitteln." (Dürr a.a.O. 2000, 133, 136) [Bild rechts: Werner Heisenberg als Professor für Theoretische Physik in Leipzig mit seiner Frau Elisabeth, welche 1976 bzw. 1989 die postume Veröffentlichung des Skriptes Ordnung der Wirklichkeit ermöglichte, welchem ihr Mann sich "mit großem Engagement" gewidmet hatte. Die Korrespondenz zwischen Werner und Elisabeth Heisenberg Meine liebe Li! Der Briefwechsel 1937—1946 (St. Pölten 2011) zeigt den Kontext und die Entwicklung der 1942 im Kreis der Familie entstandenen Schrift]

Hier finden Sie eine Thesenübersicht zu Heisenbergs „Ordnung der Wirklichkeit

(B) Raum und Zeit: Die ultimative physikalische Realität ist nach der zeitgenössischen modernen Physik ein holistisch-virtuelles Quantenuniversum aus Information und Energie (Zustandsraum der globalen Wellenfunktion Psi) ohne aktuale, reale Objekte und Ereignisse und — so die Mehrheitsmeinung — ohne eine Eigengeometrie der Raumzeit (siehe oben). Die Rede von der Raumzeit ist dabei ein voraussetzungsreicher und wegen der Verknüpfung des Raumes mit der strukturell nicht vergleichbaren Zeit sehr problematischer Begriff. Die 3 [bis 10] Dimensionen des Raums und die Dimension der Zeit sind in dieser Sicht
— auf dem physikalischen Niveau holistisch-virtuell: Das physikalische Raum-Zeit-Kontinuum ist ein undifferenzierter, chaotischer Prozess eines n-dimensionalen Vakuumschaums.
emergent: Raumstruktur und Zeit existieren erst ab dem atomaren / molekularen Niveau. Darunter, im Bereich der Elementarteilchen, gibt es keine Räumlichkeit. Der Sachverhalt und Begriff der Zeit ist von besonderer Komplexität und schließt epistemische Faktoren ein (siehe unten).
transzendierbar: nach allen Versionen der Relativitätstheorie (Poincaré — Einstein — Lorentz) liegt bei wachsenden kinetischen Energien und Geschwindigkeiten eine direkte Proportionalität vor von Masse / Energie-Zunahme (physikalische Realitätssteigerung) und standortabhängiger Raumabnahme (Längenschrumpfung) und Zeitreduktion (Zeit- bzw. Gegenwartsdehnung). Die uns umgebenden Trägerteilchen elektromagnetischer Strahlung, die Photonen, existieren nach dem Standardmodell jenseits von Raum und Zeit. Die weitergehende Bestreitung eines absoluten physikalischen Raums und einer absoluten Zeit ist dagegen kontrovers und problematisch, so sehr sie prima facie die hier vertretene Sicht stützte: Eine ausführlichere Erörterung bietet das Menu: Philosophie der Physik.
subjektabhängig: Subjektive Erlebniszeit (Zeitdauer und modaler Zeitbegriff) und Anschauungsraum (mentale Topologie und kognitives Koordinatensystem) sind Basis des Raumbegriffs und der Zeiterfahrung. Die Existenz, Ordnung und Metrik des physikalischen Raums und der physikalischen Zeit wird durch handelnde und erkennende Subjekte generiert, was die Lokalisierung und Datierung von Objekten und Ereignissen ermöglicht (Bohr, Heisenberg, Dürr, Auyang, Rohs, Davies).

Fazit: Zeitdauer + Räumlichkeit sind emergente und relative Strukturformen physikalischer Gegenstände niedriger Energie und geringer Masse in bewussten Subjekten.

Hans-Peter Dürr, der engste Heisenbergschüler und dessen Nachfolger als Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik und Hans-Peter Dürr [Foto: F. Roth]Astrophysik in München (bis 1997, + 2014), ist der bekannteste Vordenker einer interdisziplinären, philosophischen und ethischen Einordnung der Physik, wofür ihm der Alternative Nobelpreis zuerkannt wurde.

Hier eine Skizze der wichtigsten Thesen Dürrs [vgl. Dürr, H.-P. (2000) Das Netz des Physikers, 3. Aufl. München]

(C) Theorien für Alles: Eine Theorie für alles muss die fundamentalen physikalischen Randbedingungen und Gesetze und die fundamentalen psycho-physischen Randbedingungen und Gesetze umfassen. Ein methodischer Zugriff auf die fundamentalen psycho-physischen Gesetze könnte ein kombinierter Ansatz sein mit (a) einem n-dimensionalen formal-quantitativen Informationsraum auf der Basis der Informationstheorie, (b) material-intensionaler phänomenologischer Deskription und Analyse, sowie (c) einer hierzu isomorphen physikalischen Realisierung (D. Chalmers, S. Y. Auyang, John D. Barrow und auch Kurt Gödel, Foto links). Die Sicht der modernen Physik: Alles ist Information in der Projektion der Raumzeit. Oder: Die Welt ist ein globaler Informationszustand, und Gegenstand der Physik sind Informationen; fundamentale physikaliscKurt Gödel [Foto: PhilWeb]he Zustände sind Informationszustände, ist ein Schritt in die richtige Richtung, erfasst aber nur die Teilansätze (b) Informationstheorie und (c) physikalische Realisierung. Informationen als Gegenstand der Physik sind substanzlose Relationen, deren Relata oder deren substantielle Basis intrinsische Qualia sein könnten. Die Einheit der Qualia und ihrer Relationen als Einheit der Synthesis müsste dann eine bewusste Einheit, eine Einheit des Bewusstseins sein, im Sinne einer kantischen bewussten Einheit der Apperzeption.

Die kantische Transzendentalphilosophie fasst die Dinge an sich als geistige, raumzeitlose Monaden (intelligible platonische Strukturen) auf, die „in rein innerlichen Beziehungen logisch-teleologischer Art“ stehen (Adickes: Kants Lehre von der doppelten Affektion unseres Ich als Schlüssel zu seiner Erkenntnistheorie, Tübingen 1929, vgl. in der gegenwärtigen Kantforschung Gram, Falkenstein, Ameriks und Rohs). Diese logisch-teleologischen Strukturen oder Programme des Ding an sich erfahren im bzw. durch das kognitive Subjekt eine Abbildung, Transformation in räumliche Figuren und zeitliche Prozesse, „aber so, daß die unter den Dingen an sich obwaltende Gesetzmäßigkeit entscheidend ist auch für die räumlich-zeitliche Gesetzmäßigkeit der Erscheinungswelt, daß diese jene abbildet und wiedergibt, nur auf einem ganz anderen Niveau“ (Adickes). Das kognitive Ich schafft so die raum-zeitlichen Ordnungen sowie die Gegenstände. Mit einem modernen Vergleich könnte man sagen, dass dies einer Datentransformation vom abstrakt unanschaulichen simultanen Maschinenkode (HD, DVD) in die dreidimensionale, dynamisch-sukzessive und anschaulich-sinnliche WINDOWS-Benutzeroberfläche ähnelt.

Kants Konzeption der Dinge an sich steht somit Platons Ideen oder dem aristotelischem begrifflichen, nichtmateriellen Eidos nahe. Raum und Zeit werden von Kant auf der anderen Seite als transzendentale, apriorische Bedingungen der Dinge in der Erscheinung charakterisiert. Diese kantische Theorie des Zusammenspiels intelligibler Formprinzipien (Ding an sich) und der transzendentalen Anschauungsformen als transzendental-materiales Koprinzip (neben dem Äther in Kants Spätphilosophie) in der vorempirischen Konstitution der empirischen, materiellen Dinge in der Erscheinung, erscheint wie eine Reformulierung des aristotelischen Hylemorphismus, also der Konstitution der Objekte durch ein eidos oder eine morphé (Form, Gestalt) als intelligibles und energetisches Formprinzip einerseits, und der Ersten Materie (prote hyle, materia prima) andererseits. Auch diese ist ein vorempirisches, apriorisches (Material-)Prinzip der empirischen Dinge und zwar qua ultimatives, bestimmungsloses, rein potenzielles Substrat. Dessen Funktion ist die eines Projektions- oder Präsentationsraums der Individuation, des Werdens, der Entwicklung und des Vergehens der intelligiblen Formen / Entelechien in der Zeit. Dasselbe noch einmal in der Perspektive der Physik: "Nicht die Materie ist in der Quantentheorie das Beharrende, das zeitlich Unveränderliche, die <Substanz>, sondern gewissermaßen die Information, die Gestalt [...] Substanz ist die im Felde der Möglichkeiten verwirklichte Gestalt. Die Zeit ist selbst das [aktuelle empirische] Sein." (Dürr a.a.O. 2000, 149)

Die skizzierte Parallele von Kants transzendentalem Idealismus und Aristoteles' Hylemorphismus haben führende Kantexperten — unter verschiedenen Bezeichnungen — immer gesehen. Insbesondere ist Erich Adickes zu nennnen oder auch Jonathan Bennett und Karl Ameriks. Durch Rae Langton, den derzeitigen Superstar der angloamerikanischen Philosophie, zog diese Sicht nach anfänglichem Widerstand immer mehr das Interesse der aktuellen Kantforschung auf sich. Grundlegend hierzu ihre Monographie: Kantian Humility. Our Ignorance of Things in Themselves, Oxford 1998. Inzwischen ist diese Sicht unter dem Titel 'Ontologische Zwei-Aspekte-Theorie' unbestritten die Mehrheitsmeinung.

Wie in der Hochscholastik sieht man hier das ultimative Realwesen der Dinge alias die Dinge an sich als unserer Kognition unzugänglich an. Wir erkennen nur anhand ihrer raum-zeitlichen Wirkungen die inneren Kräfte und Qualitäten der Dinge, welches die Definition eines logischen Wesens gestattet. Außerdem begründet die individualisierte Materie eine phänomenale quantitative Substanz als Träger der  sinnlichen Akzidenzien. Beides zusammen bildet das Ding in der Erscheinung. Vgl. zur Ontologie der physischen Substanzen in diesem Sinn Thomas von Aquin (Comm. In De Anima Aristotelis 1, 1, 15): "Die essentiellen Prinzipien der Dinge sind uns unbekannt". Und: "Da die Wesen der Dinge uns ... unbekannt sind, ihre Kräfte jedoch durch ihre Akte in unsere Erfahrung fallen, verwenden wir häufig die Namen der Kräfte oder Vermögen zur Bezeichnung der Wesenheit" (De veritate qu. 10, art. 1., corp).

Wichtige Beiträge zur 'Ontologischen Zwei-Aspekte-Theorie' sind ferner Lucy Allais: Kant's One World. In: The British Journal of the History of Philosophy, 12 (2004), 655—685; Tobias Rosefeldt: Dinge an sich und sekundäre Qualitäten. In. J. Stolzenberg (Hrsg.): Kant in der Gegenwart, Berlin / New York 2007, 167—212. Einen kompetenten Überblick über die Debatte findet man bei D. Schulting / J. Verburgt (eds.): Kants' Idealism. New Interpretations of a Controversial Doctrine, Heidelberg / London / New York 2011.

Das Thema ist im Übrigen auch das Leitmotiv von Schopenhauers interdisziplinär angelegter Kantrezeption und Philosophie. Sie argumentiert für (a) die kantische Unterscheidung von raum-zeitlicher Erscheinungswelt und nicht raum-zeitlichem Ding an sich [Welt als Wille und Vorstellung, Buch I), (b) die ontologische Identifizierung der/s Dinge/s an sich mit dynamischen platonisch-aristotelischen Entelechien [ebd. Buch II) und (c) die Identifizierung der platonischen Ideen (eidos, species) mit objektiven Gestalten oder Charakteristiken der/s Dinge/s an sich in der Erscheinungswelt [ebd. Buch III].

Interessierte finden zu dem schon immer sehr kontrovers gehandelten Lehrstück Kants zu Raum und Zeit als apriorischen Anschauungsformen eine gute kompakte Deutung und Wertung bei Höffe: Kants Kritik der reinen Vernunft, München 52011, 81—116. Sie bezieht die mathematische und physikalische Grundlagenforschung zu dieser Frage mit ein. Höffe zeigt, dass man die Anschauungsform als bestimmungsloser transzendentaler Raum (und Zeit) unterscheiden muss von strukturierten mathematischen Raum-(und/oder Zeit-)Modellen und beide noch einmal von dem auch durch empirische Randbedingungen weiterbestimmten physikalischen Raum (und Zeit): "Weil der transzendentale Raum inhaltlich unbestimmt ist, besteht die Welt der Geometrie aus drei aufeinander folgenden Teilwelten ...: (1) Die transzendentale Geometrie befaßt sich mit jenem Außer-mir und Außer-einander, dem transzendentalen Raum, der aller wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Bestimmtheit zugrunde liegt. (2) Die Mathematik konstruiert vorstellungsmögliche Räume; (3) und die physikalische Geometrie handelt über wirkliche Räume. In diesem Stufenbau ist jede folgende Stufe an die vorangehende gebunden ohne aus ihr ableitbar zu sein [...] Die Geometrien physikalischer Theorien ... hängen außer von mathematischer Konstruierbarkeit auch von empirischen Erkenntnissen ab." (2011, 111—112)

Die Anlage zur Bildung des transzendentalen oder wie manche sagen phänomenalen Raums (= Anschauungsform) ist nach Kant angeboren; die Aktualisierung dieser Anlage erfolgt jedoch durch die Wahrnehmungs- und Denkfunktionen des Menschen und benötigt sensorische Stimulierung durch entsprechende Umweltreize. Anschauungsformen sind also sowohl ursprünglich angelegt, angeboren, als auch durch kognitive Operationen über Erfahrungsdaten erworbene Topologien. Kant nennt das "ursprüngliche Erwerbung". Das ist nun zweifellos eine sehr brauchbare Metatheorie der Neurobiologie und Wahrnehmungspsychologie der Raumwahrnehmung und der zeitlichen Organisation von Erleben und Handeln, wie das Menu zur Biologischen Psychologie im Kapitel: Die Benutzeroberfläche: Multimedia-Universum zeigt. Steven Pinker (The Blank Slate, New York 2002, 197198) fasst die Forschungslage so zusammen: Unser Wahrnehmen, Denken und Handeln verläuft in geometrisch-topologischen Strukturen. Die Basisstrukturen des Gehirns sind genetisch angelegte visuelle, auditorische und haptische topographische Karten, deren Spezifizierung angeborenen Bahnen folgt. Epigenetische neuronale Plastizität spielt nur und genau in diesen vorgegebenen apriorischen Rahmen und Mechanismen.

Das fachübergreifende Grundbuch zu dieser mentalen oder konzeptuellen Geometrie ist Gärdenfors: Conceptual Spaces. The Geometry of Thought, Cambridge, Mass. 2000. Gärdenfors' differenzierte Synthese ist cum grano salis als neokantisch zu bezeichnen.Auch er plädiert für die grundlegende Rolle (inter)modaler topographischer Projektionen (Abbildungen, retinotope, somatotope, tonotope topographische Karten) und Vektorräume (Projektionsfelder, Raumschemata) zur Repräsentation der Inhalte sensorischer und distaler Reize und motorischer Aktionen. Kognitiv irreduzible kognitive Repräsentationsfelder sind Zeit, Raumdimensionen, Farbraum und visuelles Feld, Tonskala, emotionale Domänen: Das Gehirn ist ein geometrisches Objekt (2000, 52). Die Repräsentation des Raumes ist essentiell, welche die abstrakte, amodale Struktur der Umgebung extrahiert (157). Diese Repräsentation enthält ein abstraktes bildliches Schema, das aus elementaren topologischen und geometrischen Strukturen konstruiert ist als gemeinsame Basis für Wahrnehmung, Gedächtnis, Begriff (108). Die hochstufige symbolische sprachliche Repräsentation kann dies nicht leisten, und auch die konnektionistische, assoziative Repräsentation in neuronalen Netzwerken benötigt vorgängige Repräsentationsfelder.

Kant argumentiert bekanntlich ferner dafür, dass sich aus dieser mentalen Geometrie Synthetisch-Apriorisches und Analytisches ergibt, in Mathematik und mathematischer Physik, speziell der Mechanik. Grundsätzlich sieht das auch Gärdenfors so: „If the menaings of the properties are determined by mapping onto regions of a conceptual space S, it follows from the geometrical structure of different domains that certain statements will become analytically true in the sense that they are independent of empirical considerations“ (2000, 166). Beispiel: Die Feststellung der Transitivität der Relation 'früher als' in der Zeitstruktur ist eine analytische Aussage.

Hierzu 10 Präsentationen mit Eckdaten der Modernen Physik. Sie stellen die Standardtheorie vor ohne sie zu diskutieren (siehe dazu das Menu Philosophie der Physik):

Kognitives Objekt 2 = Welt 2: Psychisches Universum

Das psychische Universum ist ein reflexives kognitives Objekt, d.h. es ist identisch mit dem kognitiven Subjekt und mit der kognitiven Repräsentation und Verarbeitung: Die menschliche Kognition inkl. (in bestimmten Grenzen) des erkennenden Subjekts kann sich selbstreferentiell als Objekt thematisch machen. In der scholastischen Tradition einschließlich Kants nannte man das die zweite, reflexive Intention (secunda intentio). Die erste, direkte Intention ist dagegen die auf die Erkenntnisobjekte gerichtete Kognition.

Kognitives Objekt 3 = Welt 3: Ideelles Universum

G. Frege [WikiCommons] Welt 3 meint den Bereich idealer und normativer Gegenstände. Vgl. die folgenden Darstellungen dieses Faktums apriorischer allgemeingültiger Normen in der menschlichen Kognition:

Gottlob Frege (Foto rechts): „Die [rationalen] Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt noch Vorstellungen. Ein drittes Reich muß anerkannt werden [...] Wir sind nicht Träger der [rationalen] Gedanken, wie wir Träger unserer [psychischen] Vorstellungen sind [...] Dem ... Gedanken muß ein besonderes geistiges Vermögen, die Denkkraft entsprechen. Beim Denken erzeugen wir nicht die Gedanken, sondern wir fassen sie [...] Das, was ich Gedanken genannt habe ... von dem urteile ich, daß es wahr sei ganz unabhängig von meiner Anerkennung seiner Wahrheit, auch unabhängig davon, ob ich daran denke. [...] Die Arbeit der Wissenschaft besteht nicht in einem Schaffen, sondern in einem Entdecken von wahren Gedanken“. (Gottlob Frege [Begründer der mathematischen formalisierten Logik]: Logische Untersuchungen, Göttingen 3. Aufl. 1986, 43, 49—50)

Thomas Nagel [PhilWeb]Thomas Nagel [Foto rechts]: „Geschöpfe wie wir — ausgestattet mit den kontingenten Fähigkeiten einer biologischen Spezies, deren bloße Existenz offenbar durch und durch zufällig ist — [haben] Zugang zu allgemeingültigen Methoden des objektiven Denkens [...] Das rationale Denken ... das logische, empirische [wissenschaftliche] und praktische [ethische] Denken ... kann ... nicht bloß als ein psychologisches oder soziales Phänomen aufgefaßt werden, denn das hieße versuchen, in einer für uns unmöglichen Weise daraus herauszutreten [...]
Laut Peirce [Begründer des Pragmatismus] [sind] 'das ... Ziel der Wissenschaft [...] zeitlose[n] Formen, mit denen wir durch Mathematik, Philosophie und die übrigen Wissenschaften bekannt gemacht werden [...] [Bei diesen handelt] es sich ... um ideale und ewige Wahrheiten' [...] Bei jedem Denk- oder Argumentationsprozeß [muß es] manche Gedanken geben..., die man nicht als biologisch programmierte Anlagen begreift, sondern einfach von innen her denkt [...] Sofern wir überhaupt denken, müssen wir uns selbst — individuell wie kollektiv — als Wesen begreifen, die die Ordnung der Vernunftgründe nicht erschaffen, sondern ihr unterworfen sind“ (Thomas Nagel: Das letzte Wort [The Last Word], Stuttgart 1998 [Oxford 1997], 41, 189, 201, 210)

"Wenn man, anstatt sich von Eindrücken, Erinnerungen, Trieben, Wünschen oder sonst etwas weiterdrängen zu lassen, innehält und 'Was soll ich tun?' oder 'Was soll ich glauben?' fragt, wird die rationale Überlegung möglich — und .... notwendig" (ebd, 161).

"Die Vernunft ist das, was wir ... gebrauchen müssen, um überhaupt etwas zu verstehen, einschließlich der Vernunft selbst" (ebd., 210).

Karl. R. Popper: Es ist methodisch undurchführbar "Universalien mit Hilfe von Individualien zu definieren. Man hat das oft übersehen, meinte, es sei möglich, durch 'Abstraktion' von den Individualien zu Universalien aufzusteigen. Diese Ansicht hat viel Verwandtes mit der Induktionslogik, mit dem Aufsteigen von besonderen Sätzen zu allgemeinen Sätzen. Beide Verfahren sind logisch undurchführbar.“ (Popper: Logik der Forschung, 9. Aufl. Tübingen 1989, 37)

"Alle ... Theorien beschreiben das, was wir als strukturelle Eigenschaften der Welt bezeichnen können, und sie überschreiten stets den Bereich möglicher Erfahrung.“ — Sie können nicht induktiv, d.h. numerisch-statistisch abgeleitet werden, "denn die Beschreibung und Überprüfung jedes einzelnen Falles setzt ihrerseits schon Strukturtheorien voraus.“ (Popper 1989, 376—377)

Dies gilt nicht nur für wissenschaftliche Theorien, sondern auch für die alltägliche Erfahrung: "Fast jede unserer Aussagen transzendiert die Erfahrung [...] Wir bewegen uns in Theorien, sogar dann, wenn wir die trivialsten Sätze aussprechen [...] Denn selbst gewöhnliche singuläre Sätze sind stets Interpretation der 'Tatsachen' im Lichte von Theorien. (Und das gilt sogar für die jeweilige 'Tatsache'. Sie enthält Universalien, und wo Universalien gelten, liegt immer gesetzmäßiges Verhalten vor.)“ (Popper 1989, 377—378)

"Es war Kants bedeutendste Leistung zu zeigen, daß alles Wahrnehmungswissen ein apriorisches Wissen voraussetzt [...] Ich ... behaupte, daß unser Wissen zu 99 Prozent, oder sagen wir zu 99, 99 Prozent, biologisch angeboren ist; und der Rest ist Modifikation" (Popper: Alles Leben ist Problemlösen, München/Zürich 1989, 128, 141).

Christian Wolff [philothek]Eine Darstellung und Erörterung der Ansätze der nachklassischen intensionalen Modallogik zur Grammatik und Semantik von Intensionalität (Begriffsanalytizität, Universalien) und Intentionalität (Pragmatik, epistemische Logik) bieten folgende Kapitel meines systematischen Kantkommentares: Kap. 3 Formale Logik Definition; Kap. 4 Formale Logik Anwendungsbereich und Kap. 5 Formale Logik Semantik und Referenz. Kap. 34  Neurobiologische, kognitionspsychologische und entwicklungspsychologische Datenbasis zu Apriorismus Empirismus Konstruktivismus bilanziert realwissenschaftliche Daten und Theorien zu Synthetischem Apriori und Begriffsanalytizität. [Bild rechts: Christian Wolff, bedeutendster Philosoph der deutschen Aufklärung vor Kant und neben Suárez Vermittler der begriffsanalytischen scholastischen Transzendentalphilosophie scotischen Ursprungs an die Neuzeit]

Hier einige weiterführende Hinweise zu erstrangig wichtigen Instituten resp. Forschern in dieser Materie:

Prof. Ludger Honnefelder, Universität Bonn, Institut für Wissenschaft und Ethik. Vgl. das oben schon erwähnte Werk Honnefelder, L.: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus Suárez Wolff Kant Peirce), Hamburg 1990. Ein Grundbuch zu Begriffsanalytizität und transzendentalem Apriori in der Ontologie der Tradition und ihrer Wirkungsgeschichte. 

Prof. Wolfgang Künne, Universität Hamburg, Fachbereich Philosophie. Vgl. W. Künne: Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie, Frankfurt am Main 22007. Dieses Buch ist wahrscheinlich die beste und lesbarste Einführung und Begründung des ideellen Universums der Welt 3. Künne zeigt, dass das Bestreiten dieser Dimension der Realität unhaltbar und kindisch ist. Bevorzugte Gewährsmänner Künnes sind Bernard Bolzano und Gottlob Frege, der "Urgroßvater" resp. "Großvater"  der Analytischen Philosophie (Dummett). Siehe zu Letzteren Künne: Versuche über Bolzano / Essays on Bolzano, St. Augustin 2008, und die monumentale Studie desselben: Die philosophische Logik Gottlob Freges, Frankfurt am Main 2010.

Prof. Edward N. Zalta, Stanford University, Direktor von The Metaphysics Research Lab Center for the Study of Language and Information. Vgl. Zalta, E. N.: Intensional Logic and the Metaphysics of Intentionality, Cambridge, Mass. 1988.

Prof. George Bealer, Yale University, Department of Philosophy. Vgl. Bealer, G.: Quality and Concept, Oxford 1983; sowie Bealer, G. / Mönnich U.: Property Theories. In: Gabbay, D./ Guenthner, F.: Handbook of Philosophical Logic, Bd. IV.2: Topics in the Philosophy of Language, Dordrecht/Boston/London 1989, 133—251.

Prof. Michael Wolff, Universität Bielefeld, Abteilung Philosophie. Vgl. Wolff, M.(1995) Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel: mit einem Essay über Freges Begriffsschrift, Frankfurt/M.; und ders.: Abhandlung über die Prinzipien der Logik. Mit einer Rekonstruktion der Aristotelischen Syllogistik, Frankfurt am Main 22009. Wolffs Arbeiten haben neben jenen Wolfgang Künnes m.E. eine grundlegende und andauernde Bedeutung für die zukünftige Arbeit auf diesem Feld.

Prof. Steven Pinker, Harvard University, Department of Psychology. Vgl. Pinker, S.: The Blank Slate. The Modern Denial of Human Nature, Viking 2002 — dt.: Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der menschlichen Natur, Frankfurt am Main 22017. Ein Grundbuch über die realwissenschaftliche Theoriebildung zu Apriorismus, Innatismus und kognitiven und sozio-emotionalen Universalien: "The big thinkers in the sciences of human nature have been adamant that mental life has to be understood at several levels of analysis, not just the lowest one" (70). Eine ausführlichere Vorstellung finden Sie im Untermenu Philosophie des Geistes.

Das ideelle Universum alias die Welt 3 Poppers ist ein Schwerpunkt der nachklassischen formalisierten Logik oder intensionalen Modallogik der Gegenwart. Sie stand auch im Mittelpunkt der Logik der Tradition bis zu Kant. Eine ausführliche Darlegung und Erörterung dazu bieten die Untermenus Logisches Universum und Logische Wahrheit des Menus Philosophie der Logik.